Koenigsmoerder
sei.
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Da Durm ausfiel, würde er es selbst tun. Ein letzter, liebevoller Dienst für jene, die er nur um Haaresbreite überlebt hatte.
Er ließ das Buch aufklappen und suchte in den vom Alter fleckigen Seiten, bis er die Beschwörung fand. Las die Worte, spürte, wie die Siegel der Macht sich entfalteten, und staunte von Neuem über die neuen Kräfte, die ihm zugewachsen waren.
Vor Jahren hatte er versucht, kindliche Zauber zu lernen. Zu begreifen. Er hatte versagt, weil er ohne Magie so erfolgreich war wie ein taubes Kind, das versuchte, Musik zu hören, indem es ein Notenblatt las. Jetzt klangen Beschwörungen in seinem Kopf wie ein Chor.
Er schob die Erschöpfung beiseite, ohne das langsame Voranschreiten des Tageslichts hinter den mit Vorhängen verhängten Fenstern wahrzunehmen, und ließ sich unter die Oberfläche des Staunens gleiten, ließ die Magie singen.
Gemäß des Aushangs vor der Palasthalle, wo die königliche Familie in allem Prunk aufgebahrt war, ging die öffentliche Aufbahrung um sechs Uhr zu Ende.
Asher stand im Schatten einer tief im Mauerwerk eingelassenen Tür und lauschte auf den klagenden Protest der Nachzügler, während Royce und Jolin, die diensthabenden Wachen, sie freundlich, aber entschieden hinauskomplimentierten. Es war fast halb sieben. Nachdem er einen ganzen Tag in Beratungen festgesessen hatte, war er müde. Hungrig. Erschöpft über jedes erträgliche Maß von den Problemen anderer Menschen und erfüllt von Furcht bei dem Gedanken an das Wettermachen, das am Abend bevorstand. Ihm wäre gewiss der eine oder andere Ort eingefallen, an dem er lieber gewesen wäre.
Aber er war hier.
Mit tränenüberströmtem Gesicht gingen die Nachzügler an ihm vorbei, ohne etwas zu sehen. Er wartete, bis alle fort waren, dann trat er aus seinem Versteck hervor.
»Das ist nicht nötig«, sagte er zu Royce und Jolin, als sie vortraten, um die Doppeltüren der Halle zu schließen. »Geht nach Hause. Ich werde Wache stehen, bis die nächste Schicht eintrifft.«
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Überrascht sahen sie ihn an. »Seid Ihr Euch sicher?«, fragte Royce.
Er zwang sich zu einem Grinsen. »Wann habt Ihr je erlebt, dass ich mir nicht sicher gewesen wäre, hm? Geht nur. Verschwindet. Oder ich werde Euch wegen Ungehorsams bei Orrick anzeigen.«
Jolin grinste zurück. »Nicht nötig. Wir sind schon weg. Wie wärʹs, wenn Ihr Euch später auf einen Humpen Bier zu uns in die Gans gesellen würdet? Oder seid Ihr jetzt zu vornehm, Meister Olkentribun?«
»Nicht zu vornehm. Nur zu beschäftigt. Trinkt ein Glas auf mein Wohl.«
Lachend verpflichteten sie sich, um seinetwillen zu leiden, und eilten davon.
Einen Moment lang sah er ihnen voller Neid nach, dann trat er in die große Halle, in der Gars Familie in stummer Pracht aufgebahrt lag.
Der Raum wurde von Glimmfeuer beschienen, das schwache Schatten warf und den Tod sanfter wirken ließ. In der Mitte der Halle standen drei mit Samt verhüllte Bahren: Borne, Dana, Fane. Dunkelrote Seile teilten den Bereich ab und schützten die Toten vor übertriebenen Trauerbekundungen. Ihre Gesichter waren unbedeckt und heiter, ihre Körper unter einer Fülle von Gewächshausblüten verborgen, deren Duft die Luft mit Sommer erfüllte.
Er fror plötzlich und schauderte. Dann ging er zu Borne hinüber und zwang sich, in das ausdruckslose, leere Gesicht zu schauen. Das Haar des Königs war wieder goldfarben. Gesäubert mit Seife oder Magie. Von Erleichterung erfüllt, wurde ihm klar, dass ein Teil von ihm Blut erwartet hatte. Wie töricht.
Er holte tief Luft und stieß sie dann langsam durch zusammengebissene Zähne wieder aus. »Nun, Eure Majestät, es geht um Folgendes. Ihr seid tot. Der verflixte Durm hat sich, was das angeht, immer noch nicht entschieden. Gar versucht, sich einen Reim auf Eure seltsame Wettermagie zu machen, während er sich ihrer bedient. Und ich... ich sehe und tue Dinge, die keinen Olk etwas angehen sollten.
Es ist alles ein elendes Durcheinander, nicht wahr?«
Die Decke der Halle war so hoch, dass seine Stimme ein Echo 122
hatte. Seine Kehle fühlte sich wund an, und ihm war eng um die Brust. Neben seinem Auge zuckte ein Muskel.
»Also. Ob Ihr tot seid oder nicht, Herr, Ihr müsst etwas tun. Er ist mein Freund, aber er ist Euer Sohn, und ich sage Euch auf den Kopf zu, dass ich nicht weiß, wie ich ihm helfen soll. Ich kann nicht beurteilen, ob er Eure Magie richtig handhabt oder nicht. Ich meine, es regnet. Es schneit. Es friert, wo es frieren
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