Köpfe für Carlita
Halterung einen langen, oben geschwärzten und mit Pech behafteten Holzbalken. Lange Zündhölzer lagen auch in der Nähe, und die Frau rieb drei Zündhölzer gleichzeitig an. Die Flamme war groß genug, um das schnell brennbare Pech am oberen Ende des Holzbalkens in Brand stecken zu können, der nun zu einer Fackel geworden war.
Die Frau stand zwischen den Zeiten.
Hinter ihr lag die normale. Vor ihr aber und am Ende der Treppe befand sich das tiefste und finsterste Mittelalter, in das Carlita nun hinabsteigen würde.
Zusammen mit Korb und Fackel. Den Korb hielt sie in der rechten, die Fackel in der linken Hand. So ausgerüstet machte sie sich auf den Weg in die Tiefe.
Angst kannte sie nicht. Es war ja ihre Welt, in die Carlita hineinstieg, und den Weg ging sie auch nicht zum erstenmal.
Sie kannte jede Stufe und auch all die Unregelmäßigkeiten, die das Gestein manchmal zu einer gefährlichen Falle machten.
Das Licht war düster. Intensiv rot, und nur an den Rändern schimmerte es in einem helleren Gelb. Bei jeder Bewegung geriet es ins Schwingen und Tanzen, dann huschten die Schatten wie zweidimensionale Riesendrachen oder Ungeheuer an den Wänden entlang, als wollten sie sich in das Gestein hineinfressen.
Stufe für Stufe ging es hinab. Keine Wendeltreppe. Diese hier führte geradewegs nach unten. Vorbei an den feuchten Wänden und immer tiefer hinein in die schlechte Luft, so daß sich der Vergleich mit einer Gruft aufdrängte. Die Luft war mit einem stinkenden Atem erfüllt. Da unten, am Fuß der Treppe, schien etwas zu liegen, das schon seit Wochen und Monaten verweste.
Carlita Moreno ging vorsichtig. Trotzdem schaukelten die Fackel und auch der Korb in ihren Händen. Dadurch bewegte sich der Kopf. Er rutschte auf dem Silberpapier in seiner Blutlache hin und her.
Die Welt des Todes schreckte die Frau nicht. Sie fühlte sich immer wohler, denn sie dachte stets daran, daß sie es war, die das Schicksal ausgesucht hatte.
Alles war Schicksal im Leben und auch in den Zeiten. Ob sie die Vergangenheit, die Gegenwart oder die Zukunft nahm. Für sie waren diese drei Vektoren untrennbar miteinander verbunden.
Eine zweite Fackel steckte in einer Halterung an der Wand. Sie ging daran vorbei. Die erste gab noch genügend Licht. Später am Ziel sah es sowieso anders aus.
Manchmal kicherte sie auch. Dann huschte dieses Geräusch an den kahlen Wänden hoch, als wollte es der Erdanziehung einen Streich spielen. Carlita war in ihrem Element. Die Mörderin fühlte sich wohl, wie befreit, und sie dachte nicht darüber nach, welches Verbrechen sie wieder einmal begangen hatte.
Es war schon der siebte Kopf, der an einem bestimmten Ort seinen Platz finden würde. Reue empfand sie nicht, nur Genugtuung, denn sie fühlte sich ihrer Ahnung verpflichtet.
Das tanzende Licht riß die Dunkelheit vor ihr auf, während sie sich hinter dem Rücken der Frau wieder zusammenballte. Der Weg in die Tiefe schien kein Ende zu nehmen, und sie hatte die Stufen auch nie gezählt, aber mehr als fünfzig waren es schon.
Carlita verließ sich dabei voll und ganz auf ihr Gefühl. Sie blieb deshalb dort stehen, als sie davon überzeugt war, daß nur noch wenige Stufen vor ihr lagen.
Es stimmte.
Sie stand auf der drittletzten. Carlita lächelte, bevor sie ihre Fackel nach vorn streckte und über die letzte Stufe hinwegleuchtete, wo ein Stollen begann.
Carlita ließ auch die restlichen Stufen hinter sich, trat in den Gang hinein, in dem das Licht der Fackel wieder zuckende Ungeheuer aus Hell und Dunkel schuf.
Nach wenigen Schritten schon blieb sie stehen, denn sie hatte das Ziel erreicht.
Carlita Moreno atmete tief durch. Sie ließ sich Zeit und bewegte sich bedächtig. In eine Halterung stemmte sie das Holz der Fackel. Das Licht fiel jetzt von oben her auf sie herab – und tauchte auch ein in eine sehr lange Nische vor ihr in der Wand.
Sie war wichtig.
Die Nische war nicht nur lang, sondern auch tief, denn sie mußte genügend Platz bieten.
Dort standen sie nebeneinander aufgereiht. Die Trophäen der Carlita Moreno.
Es waren sechs Köpfe!
***
Die Frau atmete tief durch und auch auf, als sie ihre Blicke über die Köpfe gleiten ließ. Sechs waren es.
Und sechs kopflose Körper hatten den Weg ins Meer gefunden und waren an irgendwelchen Küstenstreifen angeschwemmt worden. Zurück aber war das geblieben, von dem Carlita so überzeugt gewesen war.
Die Schädel standen nebeneinander. Der Raum zwischen ihnen war nicht größer als die
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