Köpfe für Carlita
Breite einer Hand. Die Abstände waren genau eingehalten worden, und nach dem sechsten Kopf gab es noch genügend Platz für einen siebten.
Die Männer waren nicht alle an einem Tag enthauptet worden, das war den Köpfen anzusehen, denn der Schädel ganz links, der dem ersten Toten gehörte, zeigte bereits die stärksten Spuren der Verwesung.
Die Haut war aufgeplatzt und helle Gebeine bereits an einigen Stellen zu sehen. Der Mann war blond gewesen; trotz der verfilzten und schmutzigen Haare konnte man das deutlich erkennen.
Der zweite Kopf zeigte schon weniger Anzeichen der Verwesung. Aber auch hier war die Haut bereits arg in Mitleidenschaft gezogen worden.
Unter dem linken Auge klebte ein Fleck, der wie Rost aussah, aber Blut war.
Der dritte, der vierte und der fünfte Kopf geriet in das Blickfeld der Frau, und jedesmal, wenn sie wieder in eines dieser starren Gesichter schaute, dachte Carlita daran, wie diese Männer ums Leben gekommen waren.
Sie alle hatten sich bei ihr etwas ausgerechnet. Sie hielten sich für unwiderstehlich und waren dann von einem Augenblick zum anderen in den Tod geschickt worden.
Entweder mit dem Schwert oder dem mächtigen Henkerbeil. Beide Waffen hatten ihnen keine Chance gelassen, wenn sie von der Hand einer Carlita Moreno geführt wurden.
Vor dem sechsten Kopf blieb sie stehen und stellte den Korb ab. Sie prüfte, wieviel Platz noch neben ihm war, und kam zu dem Resultat, daß es für drei Köpfe mindestens ausreichte. Damit wollte sie sich aber nicht zufriedengeben, doch weitere Aktionen waren noch Zukunftsmusik.
Der letzte Schädel in der Reihe sah im Gegensatz zu den anderen fünf noch ziemlich ›frisch‹ aus. Er hatte einem Menschen gehört, der sich ebenfalls für etwas Besseres hielt. Einem blasierten Typ aus dem Adel.
Ihn zu killen hatte Carlita besonderen Spaß bereitet. Noch jetzt strahlte aus seinem starren Gesicht eine gewisse Arroganz, in die sich aber auch Furcht hineinmischte.
Vor den Köpfen und auch innerhalb der Nische, aber dicht an den vorderen Rand gedrückt, standen dicke Kerzenstummel, aus denen die schwarzen Dochte hervorragten. Ihr Licht brauchte Carlita nicht, als sie sich bückte und den Kopf Nummer sieben aus dem Korb holte.
Sie faßte ihn mit beiden Händen an. Unter der Schnittstelle klebte das Blut und war eingetrocknet. Carlita stellte ihn noch nicht ab, sondern hielt den Kopf in einem bestimmten Abstand vor ihr Gesicht, so daß sie ihm direkt in die Augen schauen konnte.
Ihre lebten, die des Mannes nicht mehr. Sie waren nur stumpfe, dumpfe Kugeln in ihren Höhlen.
Carlita grinste das tote Gesicht an. »Juan hast du geheißen und dich mal mit dem berühmten Don Juan verglichen. Du eingebildeter Fatzke, du Macho, du Idiot. Hast du geglaubt, mich damit schrecken zu können? Hast du das tatsächlich geglaubt? Oder hast du gedacht, daß ich vor Ehrfurcht auf die Knie fallen würde?« Sie lachte das Gesicht häßlich an.
»Nein, das nicht. Ich bin noch nie vor einem Mann auf die Knie gefallen, noch nie! – Das werde ich auch niemals«, flüsterte sie. Dabei schüttelte sie den Kopf, als wollte sie dessen leblose Augen aus den Höhlen schleudern. »Don Juan!« rief sie laut, bevor sie wieder lachte. »Du bist Don Juan der Toten geworden und sonst nichts.« Sie wuchtete ihn zurück und wieder nach vorn, dann stellte sie ihn mit einem Ruck in die Nische und mußte ihn noch halten, sonst wäre er umgekippt.
»Das hast du nun davon«, flüsterte sie dem Gesicht zu. »Aber so enden sie alle. Köpfe für Carlita, kann ich nur sagen. Das allein zählt, das ist wichtig.«
Sie trat zurück, griff nach oben und zog die noch immer brennende Fackel aus der Halterung. Ihr Flackerschein glitt dabei über die Schädel hinweg und ließ die neueren so aussehen, als wären sie plötzlich und für kurze Zeit zu einem unheilvollen Leben erwacht. Doch als Carlita die Fackel drehte, nahmen auch sie wieder ihre Totenstarre ein.
Bevor sie ging, holte Carlita noch das Papier aus dem Korb, knüllte es zusammen und warf es dorthin, wo schon einige dieser Kugeln lagen.
Erst dann war sie zufrieden. Die restlichen Blutspuren am Korb würde sie oben entfernen.
Dann machte sie sich auf den Rückweg. Die Köpfe ließ sie in der Gewißheit zurück, daß sie bald Nachschub bekommen würden. Aber darüber würde noch einige Zeit vergehen. Sie mußte sich erst den richtigen Kerl aussuchen. Außerdem würde der Torso wieder am Strand angeschwemmt werden und den Behörden neue
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