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Köpfe für Carlita

Köpfe für Carlita

Titel: Köpfe für Carlita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
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hätte jetzt den Rücktritt antreten müssen, aber das andere ließ sie nicht los.
    Es umschmeichelte sie. Es klebte an ihr. Es war einfach vorhanden, ohne gesehen zu werden.
    Das Wissen aber reichte ihr aus, und Carlita versuchte es noch einmal mit einer Frage, halblaut gestellt. »Bist du es? Bist du hier? Bist du in meiner Nähe…?«
    Ihre Worte verklangen. Gespannt stand sie auf dem Fleck und erwartete die Antwort. Vergeblich. Wenn sich der Geist ihrer Ahnherrin in der Nähe aufhielt, so wollte er keinen Kontakt. Es blieb still, aber die Anwesenheit war sehr deutlich spürbar.
    Sie zeigte sich nicht, auch dann nicht, als Carlita wieder die Fackel an sich nahm und zur Treppe ging. Sie setzte ihre Schritte rückwärts, um den Blick nach vorn halten zu können. Sollte sich dort etwas ereignen, würde sie es sofort mitbekommen und hätte sich auch darauf einstellen können.
    Nichts geschah. Zwischen den beiden Gangwänden lag wieder die Dunkelheit wie dichte, schwarze Watte.
    Sie war der Schutz des Bösen oder der Schutz vor dem Bösen.
    Carlita Moreno bewegt sich weiter und stieß mit der Hacke gegen die untere Kante der Stufe. Dabei stolperte sie nach hinten und mußte mit den Armen rudern. Die Flamme der Fackel geriet für einen Moment in heftige Bewegungen. Sie schuf tanzende Schatten, die sich oberhalb der Treppe verloren.
    Der Moment der Verunsicherung war vorbei, als Carlita auf der ersten Stufe stand, aber noch immer nach vorn in den Stollen starrte. Plötzlich raste ihr Herzschlag.
    Es war finster, aber innerhalb dieser dumpfen Dunkelheit malte sich etwas ab.
    Ein Umriß.
    Nein, schon mehr, denn sie erkannte jetzt, daß es der in der Luft schwebende Umriß eines Menschen war.
    Carlita stieß einen Laut aus, der zwischen einem erstickten und einem schreienden Geräusch lag.
    Da vorn stand sie.
    Ihre Ahnherrin Carlita!
    ***
    Carlita Moreno glaubte an einen Traum, in dem sich plötzlich die Wünsche erfüllt hatten oder dicht vor der Erfüllung standen.
    Sie schluckte. Das Herz schlug noch immer so schnell. Sie war völlig aufgeregt. Gerade in diesen Augenblicken dachte sie an ihre fürchterlichen Mordtaten, aber sie konnte sich nicht erinnern, bei diesen Verbrechen diese Gefühle gespürt zu haben.
    Es war alles anders geworden. Sie sah diese Gestalt, und sie bildete sich die Person nicht ein, obgleich sie nicht den Eindruck eines Menschen machte, sondern eher einer Person, die nicht wußte, wie sie sich entscheiden sollte. Blieb sie feinstofflich, oder schaffte sie es letztendlich doch, sich zu materialisieren?
    Carlita Moreno stand noch immer auf der Treppe. Mochte die Stufe noch so breit sein, in diesem Augenblick war sie für Carlita zu schmal geworden, denn die Mörderin hatte Mühe, das Gleichgewicht zu wahren.
    Das Zittern ihres Arms rann in die Hand hinein, deren Finger den Griff der Fackel umschlossen. Das Feuer oben begann zu tanzen und sah aus, als würde es im nächsten Augenblick verlöschen.
    »Sie ist es«, brachte Carlita hervor. Sie hob die freie Hand an, um der Ahnfrau zu winken, die sich allerdings nicht rührte und in der Dunkelheit wie eine hellere Strichzeichnung stehenblieb.
    Sie wollte keinen Kontakt. Genau das konnte Carlita Moreno nicht akzeptieren, denn die andere hatte sich gezeigt, und sie hatte es bestimmt nicht grundlos getan.
    »Ich komme«, flüsterte Carlita. Sie ging nach vorn und mußte das Zittern der Aufregung überwinden. Ihr Gang sah steif aus. Sie knickte sogar mit dem rechten Bein ein, aber sie fiel nicht hin, sondern ging weiter auf die Erscheinung zu.
    Blaß stand sie dort und schaute nach vorn. Kein Umriß bewegte sich, aber Carlita sah, daß sie das Beil hielt. Sie hatte es aus ihrem Reich mitgebracht, das alte Beil, nicht das nachgemachte.
    »Noch ein Kopf«, flüsterte Carlita ihr zu. »Ich werde dir noch einen Kopf bringen, dann ist auch deine Zahl erreicht. Acht Köpfe habe ich dann zusammen. Du siehst, daß ich mein Versprechen gehalten habe. Ist das nicht…?«
    Sie verstummte, als sie plötzlich der kalte Hauch wie ein nasser Lappen streifte. Dann sah sie nichts mehr.
    Keine Erscheinung, keinen Geist, keinen Umriß eines menschlichen Körpers, gar nichts.
    Zurück blieb die dichte Dunkelheit zwischen den Wänden. Ein Tunnel ins Nichts und ohne Ende.
    Carlita brauchte schon ihre Zeit, um sich mit gewissen Dingen abzufinden. Sie wollte auch nicht darüber nachdenken, was die Erscheinung veranlaßt haben könnte, sich hier zu zeigen und dann zu verschwinden.

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