Köpfe für Carlita
alles, Carlita? Warum hast du die Menschen der Reihe nach umgebracht?«
»Nur ihretwegen«, flüsterte sie nach einer kurzen Pause. »Es ging mir einzig und allein um sie.«
»Deine Ahnfrau, nicht?«
»Ja.«
»Was ist so wichtig an ihr?«
»Sie war eine mächtige Frau. Sie ist aus dem Dunkel der Geschichte aufgetaucht. Sie hat dieser verrotteten Gesellschaft gezeigt, wo es langgeht. Sie verfügte über ein immenses Wissen, das mit jeder ihrer Reisen größer wurde. Sie hat in den arabischen Ländern von Weisen und Magiern gelernt und hat gedacht, es umsetzen zu können in einer Welt, die ganz anders war. Im mächtigen Spanien herrschten der Adel und die Kirche. Gerade sie war besonders mächtig. Sie war die große Instanz, sie war Richterin und Henkerin zugleich. Das hat Carlita de los Arrancha sehr bald zu spüren bekommen, denn die Kirche wollte sie nicht. Man schloß sie aus, man verfolgte sie, aber sie ließ sich nicht beirren und gab das weiter, was sie gelernt hatte.«
»Indem sie tötete?«
»Auch.«
»Wer waren diese Männer?«
»Feinde.«
»Ich sah sie auf dem Bild.«
»Richtig. Sie schlug ihnen die Köpfe ab. Sie war sehr bald als Köpferin bekannt. Man jagte sie, aber meine Ahnin machte weiter. Sie ließ sich nicht beirren und hatte es sehr bald geschafft, acht Menschen zu töten und deren Köpfe zu bekommen. Acht, hörst du, Sinclair?«
»Das habe ich verstanden«, flüsterte ich. »Sieben habe ich schon hier sehen können.«
»Richtig. Und du bist der achte.«
»Ich!« Bevor Carlita etwas sagen konnte, fing ich an zu lachen.
»Ausgerechnet ich. Auf mich lief alles hinaus, wie ich inzwischen habe erfahren können. Deine Taten geschahen eigentlich nur, um mich in die Falle zu locken.«
»Si!« sagte sie laut und deutlich.
Ich hatte den triumphierenden Unterton in der Stimme natürlich nicht überhört und wollte wissen, welchen Grund sie gehabt hatte, sich ausgerechnet auf mich zu fixieren.
Carlita freute sich. Sie lachte. »Auch das ist eng mit der Vergangenheit verknüpft.«
Es war eine Erklärung, die ich nicht begriff. Ich wußte nicht, was das mit meiner Vergangenheit zu tun hatte, denn ich hatte bisher keine Verbindung zu Carlita Moreno gehabt. Aber motivlos hatte sie mich nicht in die Falle laufen lassen, und eine Ausrede ist es bestimmt auch nicht gewesen.
»Es tut mir leid, aber ich kann das nicht begreifen«, sagte ich mit leiser Stimme.
»Es ist auch nicht nötig.«
»Doch – tu mir einen Gefallen. Du hast mich neugierig gemacht. Wenn ich schon sterben muß, möchte ich den Grund wissen.« So locker, wie ich den Satz ausgesprochen hatte, sah ich ihn nicht, aber ich riß mich zusammen. »Ich kenne dich nicht. Ich habe dich heute zum erstenmal gesehen und kann mich nicht erinnern, daß wir beide in der Vergangenheit schon einmal zusammengetroffen sind.«
»Es geht nicht um dich persönlich!«
Jetzt begriff ich nichts mehr. Zumindest vorläufig nicht. Vielleicht war ich auch zu angeschlagen, um da noch nachhaken zu können, und die Frau merkte, was mit mir los war.
»Du mußt dich nicht auf einen so hohen Sockel stellen, Sinclair. Du bist nicht der Nabel der Welt, sondern das Opfer. Aber im Prinzip ist es nicht um dich gegangen, sondern einzig und allein um eine andere Person, die dir unter Umständen bekannt ist.«
»Ich weiß es nicht und…«
»In der Vergangenheit hat sie gelebt, Sinclair. Nur in der Vergangenheit, und sie hat sich als Feind meiner Ahnherrin hervorgehoben. Was damals begann, werde ich jetzt vollenden.«
Zwar waren ihre Worte keine direkte Aufklärung gewesen, aber ich fing doch an nachzudenken, und diese Überlegungen brachten mich auf eine ganz bestimmte Spur. »Moment mal, Carlita, soll das heißen, daß es auch mit einer Person zu tun hat, die ebenfalls in der Vergangenheit existiert hat?«
»So ist es. Sie war außergewöhnlich, das gebe ich zu. Und von ihr stammt auch das Bild.«
»Das weißt du?«
»Si, ich habe es herausgefunden. Diese Person konnte auch malen, Sinclair. Nicht nur kämpfen und sich gegen Carlita de los Arrancha stellen. Merke dir das.«
»Sag mir den Namen!«
Sie ließ mich zappeln, aber zum Glück bewegte sie die verdammte Waffe nicht.
»Gut, du sollst es wissen, Sinclair. Der Name ist ganz einfach, du kennst ihn besonders gut. Er heißt Gilles St. Clair!«
Ich schrie nicht. Ich tat gar nichts. Ich stand auch in den folgenden Sekunden unbeweglich. Dann aber schössen durch meinen Kopf die Erinnerungen, die Gedanken,
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