Körper-Haft (German Edition)
Blechvögel auf, um sie auf den letzten beiden Zellengenossen zu platzieren.
Es war völlig klar, wen Mosquito als Favorit auf der virtuellen Trabrennbahn seines Pulsbingos sah. Es war Herr Neuner, der bereits ein Auge gegen die Makroperspektive eines Schnabels eingetauscht hatte.
»Was für ein perverser Kleingeist! Auf jemanden, der eh schon einen herben Schicksalsschlag wegstecken musste, auch noch herumzuhacken!«
Und das im wahrsten Sinne des Wortes. Als er den Vogel auf der Brust von Herrn Neuner platzierte, sah ich, wie sich seine Brust heftig hob und senkte und der Blechvogel so aussah, als würde er auf einem schwankenden Ast balancieren.
Mosquito starrte Herrn Neuner an, als würde er den Druckmesser eines Dampfkessels ablesen. Das verbliebene Auge von Herrn Neuner hetzte von einem Augenwinkel in den nächsten. Wie eine Maus, die einen sicheren Unterschlupf vor einer Katze sucht. Aber es gab kein schützendes Loch, in dem sich sein Auge hätte verkriechen können. Der einzige Schutz war seine Augenhöhle, in der es sich bereits befand, und die war nicht tief genug, um sich darin vor einem scharfkantigen Metallschnabel zu verstecken.
Über mein Holo-Flat-Pad sah ich die blanke Panik in seinem verbliebenen Auge aufsteigen. Und dann stieg noch etwas anderes auf. Sein Auge wurde wässrig und obwohl ich natürlich wusste, dass er keinen Ton herausbringen konnte, hätte ich schwören können, dass ich ein Wimmern hörte. Ein Wimmern , das durch meinen ganzen Körper lief, bis sich mir die Haare aufstellten und ich eine Gänsehaut bekam.
Zufrieden schnickte Mosquito mit seinem Zeigefinger gegen den Vitalometer von Herrn Neuner: »Herr Neuner, jetzt warten Sie’s doch mal ab. Meine kleinen Blechfreunde sind doch noch gar nicht in Bewegung. Aber das haben wir gleich! Ich fang drüben bei Herrn Schirmer an und arbeite mich dann zu Ihnen durch!«
Ich blinzelte mich in höchster Eile durch das Gymnastikprogramm, um im Zweifelsfalle das Bett bewegen und den blechernen Plagegeist abschütteln zu können.
Dann stand Mosquito plötzlich neben mir. »Ich hatte gar nicht erwartet, dass Dir diese kleine Vorstellung eine Gänsehaut beschert, aber das passt sehr schön zu unseren kleinen Vögelchen … Ich wusste ja gar nicht, dass Du so emphatisch bist …«
Dann zog er den kleinen Feststellhebel des Uhrwerks am Hals des Vogels zurück und ließ ihn auf meiner Brust herumhüpfen. Ich spürte das mechanische Getrampel der kleinen Blechfüße in meinen Lungen leise nachhallen. Meine Augen schielten nach unten, in Richtung des »Spielzeuges«. Durch das Hochhüpfen konnte ich sehen, dass die Brust und der Kopf des Blechvogels in einem eigenartigen Grün eingefärbt waren. In der Mitte der Falznaht zeichnete sich ein Loch ab, in dessen Mitte sich ein metallener Vierkant drehte. Die Flügel waren rot und der Rücken blau. Keine Ahnung, was für eine Gattung es darstellen sollte. Vielleicht war die Farbgebung dieser plattfüßigen chinesischen Designerschwalbe das Resultat von vergorenem Reis, der die Phantasie des Gestalters beflügelt hatte …
Jedenfalls wurde das Getrappel auf meiner Brust immer müder und es hatte für mich nie die Gefahr bestanden, dass die scharfen Kanten des Blechvogels meine Augen verletzten konnten.
Die Blechkameraden auf Herrn Bhaghavatulas und Herrn Ögers Brust hüpften bereits. Herr Neuner war nur noch zwei Vögel von seinem persönlichen Alptraum entfernt. Er hatte sichtlich Todesangst. Vielleicht stiegen die Erinnerungen an den Besuch der Krähen vor seinem geistigen Auge auf. Vielleicht dachte er auch gerade daran, dass er in ein paar Minuten nur noch sein geistiges Auge haben würde, um Bilder zu sehen. Jedenfalls heulte im nächsten Augenblick sein Pulsmesser auf. Mosquito reckte die rechte Faust gen Himmel und schrie begeistert mit sich schon fast überschlagender Stimme: »Ja! – Ja! – Ja!«
Er steigerte sich eine geradezu orgastische Ekstase, als die Tür aufgerissen wurde. Doktor Gregor stürzte herein und schrie: »Was in drei Teufels Namen ist hier los!«
Mosquito ließ die Faust langsam sinken, schaltete wie beiläufig den Alarm des Vitalometers aus, wischte sich den Geifer aus dem Mundwinkel und schob die Faust in die Tasche seines Pflegerkittels.
»Ich wollte nur etwas Abwechslung in den tristen Alltag dieser armen Menschen bringen …«
In Riesenschritten war Doktor Gregor durch das Zimmer geeilt und hatte die Blechvögel von unseren Körpern gewischt. Scheppernd
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