Körper-Haft (German Edition)
Übereignung mit mir Schluss gemacht hatte, sollte ich mich darauf wohl besser nicht verlassen.
Andererseits war meine hintergründige Absicht ja auch nicht gerade die Ehrenhafteste. Wenn ich es auch nicht unumwunden zugegeben hätte, so wollte ich Sie auf diese Art und Weise halten. Ja sogar behalten und sie so zu nötigen, die nächsten zehn Jahre auf Stand-by zu stehen, bis ich herauskomme.
Das war nicht nur wenig ehrenhaft, es war der blanke Egoismus. Ich konnte mir in etwa vorstellen, was sie emotional durchmachen müsste, einem BSS-Zombie zehn Jahre lang die Treue zu halten. Ohne zu wissen, ob dieser Zombie nach zehn Jahren noch der Gleiche sein würde wie vor der Zombie-Behandlung . Und selbst wenn: Hätte sie sich selbst nicht soweit verändert und entwickelt, dass sie nach meiner Reanimierung auf einen Frank aus Ihrer Vergangenheit stoßen würde? Zehn Jahre! Ohne gemeinsame Erlebnisse, ohne geteilte Freuden und Leiden, ohne auch nur ein einziges Gespräch!
Außerdem war ich in ihren Augen der Mörder meines besten Freundes – auch nicht gerade vertrauenerweckend! Irgendwie konnte ich sie ja verstehen!
Damit war ich wieder an meinem Ausgangspunkt. Ich war sowohl emotional als auch physisch besitzlos. Kein Auto, kein Haus, keine Liebe, kein Schaukelpferd. Ich besaß ja nicht einmal die Kontrolle über meine Ausscheidungsorgane. Abgesehen vom letzten Punkt waren das laut Buddha die besten Voraussetzungen aus dem Rad des Leidens und damit der Wiedergeburt auszusteigen und ein Erleuchteter zu werden …
Ich erschrak vor meinem eigenen Zynismus, aber was blieb mir unterm Strich? Das Einzige was ich vielleicht noch meinem Besitz zuordnen konnte, waren meine Fünf Sinne, mein Geist, eine überaus lebhafte Phantasie, die Götter in Latzhosen erschaffen konnte und ein Körper, der als Behälter oder Behausung all dessen diente.
Body and Soul zeigte gerade die Technik der Atem-Meditation . Es machte in meinem Schädel mal wieder »klick« und der Greifer einer uralten Wurlitzer-Jukebox griff in meinen Erinnerungen nach einer Single der Fanta Vier und kratzte knirschend los:
Du atmest ein.
Du atmest aus.
Dieser Körper ist Dein Haus
und darin kennst Du Dich aus.
Aber war das wirklich so? Ich wohnte zwar in meinem Körper, aber kannte ich mich wirklich darin aus? Wohl eher nicht!
Am Anfang, als Kind, kannte ich keine zeitliche Dimension, lebte in den Tag hinein und fand nach anfänglicher Zuneigung Erwachsene doof. Dann kamen die Hormone und ich fand Erwachsene noch doofer, wollte aber auch einer werden. Aber natürlich ein ganz anderer als die anderen Erwachsenen! Die Hormone blieben und gaukelten mir die Vorteile des Erwachsenseins vor – mit all seinem begleitendem Herzschmerz. Dann kamen Studium und Beruf und ich fand Kinder doof. Mit dreißig schließlich die erste Midlife-Crisis, der Wunsch wieder ein Kind zu sein und die wage Erkenntnis, dass ich nichts aus alledem gelernt hatte.
Sechs Jahre später kam Professor Marquez und beamte mich in einen Körper, der zwar mir gehörte, mir jedoch nicht gehorchte. Was also hatte ich? Me, myself and I – und zehn Jahre, um mich endlich kennenzulernen!
Ohne den Ballast von Besitz konnte ich es mir behaglich in mir einrichten. Neue Tapeten an die Wände meiner Seele kleben, mich innerlich zurücklehnen und versuchen mich selbst zu zelebrieren. Irgendwie witzig, alle Welt sprach vom Cocooning , dem Trend, sich in die eigenen vier Wände zurückzuziehen und es sich dort gemütlich zu machen. Die Kontakte nach außen zum größten Teil virtuell zu pflegen – sich also von der Welt da draußen abzunabeln und dennoch mitten drin zu sein, ohne wirklich dabei zu sein …
Ich hingegen war tatsächlich in einem Cocoon – meinem eigenen Körper – gefangen, der darauf wartete ein grünes Serum injiziert zu bekommen, um ein Schmetterling zu werden. Die Flügel strecken, in die wärmende Sonne fliegen und den süßen Nektar des Lebens genießen. Aber bis es soweit war, musste ich eben als bewegungsunfähige Larve warten und mir mit Selbstbetrachtungen die Zeit vertreiben. Und war die Selbstbetrachtung nicht – buchstäblich – ein Rückzug in sich selbst und damit eine Form der Meditation?
Boxenstopp
»Eeeehhh!« Der lang gezogene Atemzug von Nr. 6 schreckte mich auf. Es hörte sich an, als sei er die ganzen Tage, die er im Koma verbracht hatte, unter Wasser gewesen und wäre nun wie ein Korken an die Oberfläche geschnellt, um Luft zu holen. »Eeeeehhh!« Der
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