Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Körper-Haft (German Edition)

Körper-Haft (German Edition)

Titel: Körper-Haft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Romey
Vom Netzwerk:
Schrei wiederholte sich und Nr. 6 bäumte sich auf.
    Er bäumte sich tatsächlich auf, ich konnte es nicht fassen. Ich dachte, er müsste, wie wir anderen auch, wie eine eingelegte Aubergine in der Auflaufform seines Bettes liegen! Mein eigener Puls raste, im ersten Moment wusste ich nicht, was ich tun sollte. Ich versuchte mich zu beruhigen und obwohl mir das nur bedingt gelang, löste ich in einem lichten Moment den Alarm auf meinem Holo-Flat-Pad aus, indem ich das Symbol des roten Kreuzes anvisierte und entschlossen blinzelte. Danach gewann meine Schaulust die Oberhand. Über das Menü Personenstatus blinzelte ich den Modus Selbstbetrachtung an und zoomte den Ausschnitt so, dass ich Nr. 6 gut beobachten konnte.
    Dadurch konnte ich auch sehen, dass Nr. 4 ebenfalls aufgeschreckt war und versuchte, seine Augen so weit wie irgend möglich nach rechts zu rollen, um mehr mitzukommen. Über seinem Bauch gingen Turban tragende Hologramme mit Maschinengewehren und Handgranaten aufeinander los – er schaute sich mal wieder eines dieser asiatischen B-Pictures an. Einer der Kämpfer wurde von einer Handgranate nach oben gewirbelt und schien direkt zwischen unsere Betten zu fallen, bis er sich am Rand des Projektionsradius in Luft auflöste. Ich hatte mich von dem Gemetzel ablenken lassen und bemerkte erst jetzt, dass mein indischer Feuerteufel inzwischen seinerseits auf meinen 3-D-Bildschirm starrte.
    »Eeeeehhh«, Nr. 6 bäumte sich abermals auf und riss die Augen soweit auf, dass sie aus den Höhlen traten. Vermutlich durch sein Starren ausgelöst, schaltete sich sein Holo-Flat-Pad ein und zauberte eine Holografie von Jesus am Kreuz über seinen Bauch. Schaum trat ihm vor den Mund, sein Körper wurde geschüttelt von epileptischen Zuckungen. »Ob´s wohl daran liegt, dass der Jude ist?«, fragte ich mich für einen kurzen Augenblick und schob diese Gemeinheit beschämt beiseite.
    Endlich ging der Alarm seines Vitalometers an. Das Pfeifen riss auch die restlichen Zimmerkollegen aus Ihrer Trance und ich konnte sehen, wie ihre Pupillen so weit nach rechts rollten, dass man fast nur noch das Weiß ihrer Augen sehen konnte. Ein gespenstischer Anblick: Drei Zombies, d ie einen mit aufgerissenen leeren, weißen Augen ansahen. Aber viel gruseliger war, dass Nr. 6 immer noch zappelte, als hinge er an einem Starkstromkabel. Das pfeifende Geräusch des Alarms unterlegte die gesamte Szene mit einer düsteren Endzeitstimmung.
    Endlich wurde die Tür aufgerissen und zwei Pfleger und der von Professor Marquez gedemütigte Weißkittel kamen kurz nacheinander mit ihren Instrumentenwagen hereingestürmt. Die Augen von Nr. 6 waren herausgetreten wie die eines Frosches; sein Gesicht in ein tiefes Purpur getaucht, als sei es ein einziges Brandmahl.
    »Schnell einen Intubator und saugt ihm den Schaum ab!«
    »Schon dabei Doktor Gregor – Intubator«, sagte einer der Pfleger und reichte ihm das Gerät.
    »Und schaltet endlich den Jesus ab, man sieht durch diese verdammte Holografie ja fast nicht, was man tut!«
    Zu dem enervierenden, pulsenden Geräusch des Alarms gesellte sich ein weiterer durchdringender Ton, der mich in seiner Konstanz noch mehr aufschreckte.
    »Er hat eine Flatline!«
    »Scheiße!«
    Die drei wirbelten um das Bett von Nr. 6 als sei es ein Formel-1-Rennwagen, der zum Boxenstopp kam. Aufbocken, Räder tauschen, tanken, nur keine einzige Sekunde verlieren.
    Nr. 6 krampfte erneut, würgte und kämpfte um die Luft, die ihn am Leben erhalten würde. Seine hervorgequollenen Augen wurden feucht, das panische Leuchten in seinen Augen verlosch mehr und mehr, wie das Nachglimmen einer alten Bildröhre, und sickerte in eine Dimension, aus der die wenigsten zurückkommen …
    Ich hatte das schon einmal gesehen – als Sunny in meinen Armen starb. Ich schluckte trocken und kämpfte mit den Tränen – Sunny! Doch damals war es noch sehr viel schlimmer. Er war mein bester Freund und ich sah ihm direkt, und nicht über ein Holo-Flat-Pad, in die Augen. Es ist etwas völlig anderes, wenn man jemanden über einen Bildschirm sterben sieht oder einem der Sterbende direkt in die eigene Seele blickt. Ich musste ohnmächtig miterleben, wie er nach und nach verschwand, bis die Verbindung zu ihm völlig abriss.
    Den Todeskampf von Nr. 6 verfolgte ich lediglich über mein Holo-Flat-Pad , was dem Sterben etwas Unreales gab, geradeso als ob man nur einen Film ansieht. Die vorher leuchtend blauen Augen von Nr. 6 sahen jetzt so aus, als würden sie

Weitere Kostenlose Bücher