Körper-Haft (German Edition)
exakt anvisieren und anblinzeln ließ.
Ich startete dummerweise aus reiner Experimentierfreude das Sit-Up-Programm auf Endlosschleife und wurde über eine halbe Stunde auseinander- und wieder zusammengezogen, bis ich es endlich schaffte, das Ding mit einem verzweifelten Dauerblinzeln auszuschalten. Danach war ich völlig außer Atem und genoss die Ruhe im Bett, wenn ich auch Schiss davor hatte, dass diese Höllenstreckbank sich eigenständig wieder in Bewegung setzen könnte. Dennoch hatte ich den Eindruck, dass diese Extremsporteinlage meinem schmerzenden Rücken gut getan hatte. Auch das Jucken in der Leistengegend hatte sich durch das Darüberkratzen der Bettdecke verflüchtigt. Wenn ich mich also bewegen wollte, konnte ich dies auch tun. Natürlich unter der Prämisse, dass ich mich ferngesteuert, nach einem einprogrammierten Bewegungsmuster durchwalken ließ.
Kurz darauf entdeckte ich im Menü des Holo-Flat-Pads auch noch eine Zeitschaltuhr, mit der ich die Übungen zeitlich begrenzen konnte. Ebenfalls recht einfallsreich war die Möglichkeit, wie bei einem Mediaplayer die unterschiedlichen Übungsprogramme individuell zusammenzustellen und gegebenenfalls auch noch über einen Zufallsgenerator ablaufen zu lassen. Eine Playlist fürs Wunderbett! Auch wenn ich John Mc Lay sicherlich nicht zu meinem besten Freund gemacht hätte, dafür war ich ihm wirklich dankbar.
Auch wenn das Bett nur eine passive Art der Bewegung ermöglichte, so kurbelten die Übungen doch meinen Kreislauf und damit auch mein Denken wieder an. Außerdem musste meine Lunge schneller arbeiten, was den Vorteil hatte, dass sich der Schleim, der sich drückend auf meine Bronchien gelegt hatte, wieder löste.
Obwohl – oder vielleicht auch gerade weil – ich der Fähigkeit, mich aktiv zu bewegen, beraubt war, blieb ich an dem Sender Body and Soul hängen. Das Programm schien mir perfekt zu meiner Situation zu passen. Zum einen wurden in schönen entspannenden Umgebungen Yogaübungen, autogenes Training und Meditationsübungen beschrieben, was mich schon allein durch das Zuschauen beruhigte. Zum anderen sog ich die Meditationsübungen und schönen Umgebungen geradezu in mir auf, um mir weitere Fluchtwege zu schaffen.
Bei den Yogaübungen, die mit einer sehr entspannenden Musik unterlegt war, hatte ich für mich die grandiose Ausrede, dass ich diese abartigen Verrenkungen nur deswegen nicht mitmachen konnte, weil mich das Serum von Professor Marquez lahmgelegt hatte. Dass ich es auch im normalen Gesundheitszustand nicht geschafft hätte, verschwieg ich meinem Ego geflissentlich.
Der esoterische Ansatz des ganzen Body-and-Soul-Gedöns’ kitzelte natürlich an meinem Zynismus und brachte mich innerlich immer wieder zum Lachen. »Wir spüren den Raum, der uns umgibt und die Zeit, in der wir treiben wie ein Schilfblatt im lauen Wind einer sternenklaren Sommernacht.«
»Klar, und Weltfrieden für alle gibt’s heute im Sonderangebot! Die streng limitierte Auflage von 80 Milliarden CDs, die der Sender heute unters Volk jubeln möchte, dient nicht der persönlichen Bereicherung, sondern ausschließlich dem geistigen Reichtum der selbstlosen Redakteure. Denn so viel Geld wie wir durch Euch angefixte, esoterische Werbejunkies machen werden, können wir uns beim besten Willen nicht vorstellen. Das ist unser persönliches Nirwana, aus dem wir erst wieder herauskommen, wenn uns das Geld ausgehen sollte … oder Buddha uns vor die Tür setzt!«
Trotz meines ausgeprägten Zynismus fand ich einige Passagen für meine aktuellen Lebensumstände durchaus passend und beachtenswert. Es ging es zum Beispiel um das Thema Besitzlosigkeit und Wege, zu sich selbst zu finden. Vor meiner Zeit als BSS-Labor-Ratte hätte ich vermutlich gesagt: »Was soll dieses ganze Selbstfindungszeugs. Wenn ich mich selbst finden möchte, schaue ich in einen Spiegel und platziere meinen Zeigefinger auf meiner Nasenspitze, bis ich schiele. Eine punktgerechtere Selbstfindung inklusive Selbstreflektion durch den Badezimmerspiegel gibt es nicht!«
Aber meine aktuelle Situation ließ mich die Sache von einer anderen Seite her betrachten. Was gehört mir denn schon? Meinen gesamten physischen Besitz hatte ich noch schnell vor meiner Verurteilung an Tanja übertragen, um nach der Haftentlassung über diesen Weg wieder heranzukommen. Vorausgesetzt, Tanja ließ mich nach zehn Jahren Haft überhaupt noch ran … sowohl in monetärer Hinsicht als auch in körperlicher. Da sie kurz nach der
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