Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Körper-Haft (German Edition)

Körper-Haft (German Edition)

Titel: Körper-Haft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Romey
Vom Netzwerk:
erlernen, beschloss ich, mich intensiver mit Meditationsübungen auseinanderzusetzen.
    Sowohl über das buddhistische Religionsprogramm als auch über den Yoga-Sender lernte ich, dass es sehr unterschiedliche Techniken der Selbstversenkung gab. Eine der scheinbar einfachsten Methoden war das Atmen. Etwas, von dem jeder Mensch glaubte, es in- und auswendig zu kennen.
    Vom ersten Klaps auf den Hintern, den man vom Entbindungsarzt bekommt, der einen kopfüber wie einen toten Fisch über ein weißes Laken hält – gefolgt vom ersten wütenden Atemholen und dem ersten Schrei, um der Empörung darüber, wie man im Reich der Lebenden empfangen wird, Luft zu machen.
    Noch vor dem ersten Atemzug bekommt man gezeigt: »Ab jetzt ist Schluss mit lustig!«
    Und vor lauter Ärger über diese kalte, nasse, klebrige und ungerechte Welt fängt man ganz automatisch mit dem Atmen an und vergisst in seinem Ärger, wie sich der erste Atemzug angefühlt hat und wie wohltuend sich die frische Luft wohlig kribbelnd im ganzen Körper breitgemacht hat.
    Vermutlich überlegt ein Großteil der Neugeborenen stattdessen schon, wie es den Entbindungsarzt für dieses traumatische Ereignis des ersten Klapses regresspflichtig machen und verklagen kann. Zumindest der Teil der Neugeborenen, die in den USA das Licht der Welt erblicken.
    Aber mit dem ersten Atemzug beginnt ein Automatismus, der einem bis zum letzten Ausatmen erhalten bleibt, bei dem man im Gegenzug den Hauch des Todes in sich aufnimmt.
    Man nimmt das Atmen als so selbstverständlich hin wie den Zustand, am Leben zu sein. Nur in Zeiten, in denen einem wortwörtlich die Luft wegbleibt, wird man sich beidem für einen Augenblick lang bewusst.
    Leben und Atmen! Diesen Augenblick gilt es einzufangen, nein, nicht einzufangen, sondern zu beobachten. So wie die Luft durch Nase und Mund wohltuend einströmt und sich ihren Weg bis in die verzweigtesten Kapillaren der Lunge sucht, um sich dann Hand in Hand mit den Blutkörperchen in die entlegensten Regionen des Körpers transportieren zu lassen, bevor sie ihn beim Ausatmen wieder verlässt. So achtet man bei der Atem-Meditation nur auf das eigene Ein- und Ausatmen. Man hört auf das Geräusch, das der eigene Atem verursacht und folgt im Geiste dem eigenen Atem, wie er durch den Körper weht, ohne ihn bewusst beeinflussen zu wollen.
    Alles Blödsinn! Oder vielleicht doch nicht? Ich versuchte es trotz meiner Skepsis, stellte diese spezielle Meditationsform doch eine der wenigen Möglichkeiten dar, tatsächlich aktiv etwas zu tun. Liegen und atmen. Liegen, atmen und meinem Atem lauschen. Den Atem kommen und gehen lassen wie einen guten Freund. Mit der Zeit merkte ich, wie es mich beruhigte und sich so etwas wie eine tiefe Zufriedenheit in mir breitmachte, ohne dies wirklich so benennen zu können. Denn da waren keine Gedanken, die sich angestrengt bemüht hätten, das Gefühl in Worte zu fassen. Nur Atem und befreiende Leere.
    Als ich noch in der Agentur oftmals bis tief in Nacht gearbeitet hatte und ich merkte, wie mich der Stress von innen her auffraß, hatte ich mich, ohne es jemanden zu sagen, zu einem Meditationswochenende angemeldet.
    Es war mir irgendwie peinlich. Ich … der selbstzerfleischende Chefzyniker … auf einer Yogamatte liegend auf meinen Atem zu hören und mir auszurechnen, dass jeder dieser esoterischen Atemzüge einen Batzen Geld kostete. Und das Schlimme daran war: Je langsamer ich atmen sollte, desto teurer wurde jeder Atemzug im Verhältnis. In Relation gesehen, hätten viele schnelle Atemzüge den Stückpreis deutlich reduziert!
    Heute im Angebot: Schnell gehechelte Atemzüge! Das war ja wie bei schlechtem Sex! Ich versuchte mich zu beruhigen. Qualität statt Quantität … Ich atmete tief ein und aus, aber mit dem Kopf war ich schon wieder in der Agentur. In Gedanken plante ich bereits irgendeinen Event für irgendeinen Kunden, der eine wahnsinnig wichtige Nichtigkeit für teures Geld an arme, gutgläubige Kunden verkaufen wollte.
    Manchmal kam ich mir in meinem Job richtig schäbig vor. Wie ein Gauner aus dem Wilden Westen, der einem anderen Gauner dabei half, seinen Planwagen am genau richtigen Platz aufzustellen, um irgendwelche Wundermittelchen zu verkaufen. Je wortreicher und schöner sie verpackt waren, desto besser wirkten sie. Und je besser sie wirkten, desto teurer konnte man sie verkaufen. Und das Paradoxe an der Sache war: Je teurer sie waren, umso wirkungsvoller schienen Sie fürs gutgläubige Volk zu

Weitere Kostenlose Bücher