Körper-Haft (German Edition)
Blumenstrauß zum Beispiel, der wie ein bunt bemaltes Stöckchen aussah, bevor er »erblühte«. Sunny freute sich über meine Begeisterung und zog mich in eine Ecke, wo ein dickes Tau zu einer Spirale aufgetürmt auf dem Boden lag. Wir setzten uns und Sunny fing an, verschwörerisch dreinzublicken und in irgendeiner Phantasie-Sprache mit dem Seil zu reden. Urplötzlich hatte er eine kleine Flöte zwischen den Fingern. Nach einer kurzen Weile eines psychedelischen Flötenspiels zuckte das Seilende im Zentrum der Spirale und stieg schwingend der Decke entgegen. Als nur noch der letzte Ring der Tauspirale auf dem Boden lag, hatte sich in deren Mitte das starke Seil bis zu den obersten Regalen emporgestreckt.
Sunny steckte die Flöte in seine hintere Hosentasche, stand auf und kletterte an dem frei schwebenden Seil nach oben. Am letzten Stück angekommen, grinste er zu mir herunter.
»Mal sehen, ob mein Papa das beste Spielzeug wieder ganz oben versteckt hat!« Er kramte auf dem obersten Regal herum, Staubflocken schwebten herunter. Schließlich reckte er triumphierend die rechte Faust hoch.
»Ich hab’s!« Trotz der schummrigen Beleuchtung konnte ich ein langes Messer erkennen, das bedrohlich glänzte. Das Seil, an dem er sich die ganze Zeit über festgehalten hatte, schwankte schon bedrohlich unter seinem Gewicht. Er war gerade die Hälfte des Seiles heruntergerutscht, als das restlich Seil unter ihm nachgab und zusammenfiel.
»Ahhhhh…!« Sunny stürzte und fiel geräuschvoll neben das Seil. »Ich glaub, mich hat’s erwischt.« Er stützte sich mit seiner Linken stöhnend auf, bis er mit ausgestreckten Beinen dasaß. »Mir ist schlecht, das tut so höllisch weh!« Mit seiner Rechten hielt er noch immer den Griff des Messers direkt über seinem Oberschenkel umklammert, die Klinge war komplett darin verschwunden.
Jetzt wurde mir schlecht. Ich musste Hilfe holen! »Herr Regen, Ronald, schnell …«
»Pst!« machte Sunny und zog das Messer langsam und mit einem breiten Grinsen im Gesicht aus dem Oberschenkel heraus! Ich schauderte. Aber da war kein Blut, nicht einmal ein Loch in der Hose.
»Du solltest nicht immer glauben, was Du siehst!« Er knuffte mich gegen den Arm. Er hob das Messer an und drückte mit dem Zeigefinger frontal gegen die Spitze. Die Klinge verschwand nach und nach im Griff, bis nichts mehr davon zu sehen war. Er grinste mich wieder breit an und gab mir das Messer. »Coole Nummer, was?«
Ich nahm das Messer und drückte die Klinge jetzt meinerseits in den Griff. »Du hast mir einen ganz schönen Schreck eingejagt!«
»Und mir auch«, sagte eine Stimme hinter mir. Als ich mich umdrehte, stand Ronald Regen hinter mir. Ich spielte gedankenverloren und durch die Anwesenheit eines Erwachsenen nervös immer noch mit der versenkbaren Klinge.
»Sunny, ich hab Dir doch gesagt, dass Du die Finger von den Messern und den Schwertern lassen sollst.« Er klang nicht ärgerlich, eher tief besorgt. So was hatte ich noch nicht erlebt, mein Vater hätte mir die Ohren lang gezogen. Und so verfolgte ich tief verwundert und vermutlich ebenso tief beeindruckt, was weiter geschah.
»Gib mir bitte das Messer, Frank.« Ich hielt ihm die Schneide hin.
»Nein bitte nicht so, Du musst es anderes herum halten. Nehm’s an der stumpfen Seite der Klinge in die Hand und reiche mir den Griff. Das macht man mit allen gefährlich Dingen so. Egal, ob man jemandem ein Messer, ein Schwert, eine Pistole oder sogar eine Bohrmaschine reicht. Man verhindert so die Verletzungsgefahr.«
Ich war nach wie vor eingeschüchtert, aber auch weiterhin tief beeindruckt und reichte ihm vorsichtig das Messer mit dem Griff voran. Er nahm das Messer mit einem Nicken entgegen und drückte mit dem Daumen die Einfassung des Heftes am Griff. Es machte leise »klick«. Dann wog er es in der Hand, warf es kurz hoch und fing es geschickt auf der Klingenseite. Mit einer fließenden Bewegung holte er aus und warf das Messer mit voller Wucht in Richtung eines hölzernen Regal-Stützbalkens. Das Messer blieb in dem mindestens zehn Meter entfernten Balken vibrierend stecken.
»Ups!«, sagte Sunny und schluckte. Uns beiden stand der Mund offen.
»Du solltest nicht immer glauben, was Du siehst! Aber manchmal ist es besser zu glauben, was Du siehst!«, sagte sein Vater. »Das ist eine Spezialanfertigung für einen Messerwerfer, nicht die üblichen stumpfen Theatermesser … und selbst die sind nicht ganz ungefährlich. Traue nie einer Mechanik, wenn Du
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