Kohärenz 01 - Black*Out
zwischen den Händen hindurchschluchzte: »Sie werden uns alles wegnehmen. Das Haus, unser ganzes Geld, die Versicherungen, das Auto … Morgen werden sie kommen und uns pfänden …«
Das werde schon nicht so schlimm werden, hatte Oma begütigend gemeint und ihr hilflos die Hand auf die Schulter gelegt.
»Doch!«, hatte Mutter aufgeheult. »Das wird schlimm! Schlimmer, als ihr es euch vorstellen könnt! Ich weiß doch, wie das läuft! Genauso haben sie es letzten November mit Paul Bering gemacht, als er sich mit Gentechnik-Aktien verspekuliert hat! Heute hockt er in einer möblierten Zweizimmerwohnung am Bahngleis und fischt Zeitungen aus Papierkörben, ich hob ihn doch gesehen, erst letzten Monat bin ich ihm begegnet …!«
Es war Dads Idee gewesen. Man konnte an seinem Gesicht ablesen, dass ihm in diesem Moment die Gespräche wieder einfielen, die er und Christopher über die technischen Einzelheiten des Bankennetzwerks geführt hatten. Er sah ihn an und fragte: »Kannst du da nicht was machen? Die Order wieder zurückholen? Rauslöschen?«
28 | »Ich musste es alleine machen«, erzählte Christopher, während Serenity das Gemüse und die Pommes auf die Teller verteilte. Sie hatten sich an den Küchentisch gesetzt. »Meine Mutter hat mir ihre Büroschlüssel und ihre Codekarte gegeben, später wollten wir behaupten, ich hätte sie heimlich genommen. Dann bin ich mit der Straßenbahn in die Stadt gefahren. Das Schwierigste war, mich in ihr Büro zu schleichen, ohne dass mich jemand sah. Überall Sicherheitsleute und so. Ich musste warten, bis es dunkel wurde und das Gebäude sich leerte. Und ich hab wie auf Kohlen gesessen, denn ich hatte ja nur bis Mitternacht Zeit.«
Es war ihm schließlich gelungen, unbemerkt in die Tiefgarage zu schlüpfen. Er hatte es nicht gewagt, den Aufzug zu nehmen, und war stattdessen durch das Treppenhaus hochgestiegen – bis in den vierzigsten Stock!
Kyle schüttete sich reichlich Barbecue-Soße über alles. »Aber du hast dich nicht damit begnügt, die Order zu löschen.«
»Damit hätte ich mich schon begnügt. Das Problem ist, dass man eine solche Order, wenn sie einmal erstellt ist, nicht wieder löschen kann.«
»Wieso nicht? Das sind doch auch nur Daten in einem Computer. Magnetfelder auf Festplatten. Was soll da nicht zu löschen gehen?«
Christopher schnitt sein Putenschnitzel an. »Wenn so eine Order ins System eingestellt wird, steht sie zugleich im Gegenprotokoll auf der anderen Seite der Transaktion.« Er sah Serenity an. »Das ist so ähnlich wie mit deiner Note: Es nützt nichts, den Eintrag zu löschen, wenn es jemanden gibt, der sich daran erinnert. In dem Fall wäre das ein anderer Computer gewesen, irgendwo auf der Welt. Um an den ranzukommen, hätte ich mich durch so viele andere Systeme hacken müssen, dass die Zeit im Leben nicht gereicht hätte. Ich hatte ja nur das Passwort meiner Mutter, mit begrenzten Zugriffsrechten. Das wäre nicht zu schaffen gewesen.«
Serenity sah ihn mit großen Augen an. »Ich verstehe nur so viel, dass du losgefahren bist, obwohl dir klar war, dass du die Order nicht gelöscht kriegen würdest. Und dann? Wozu die Mühe?«
Es tat gut, mal etwas zu essen, das kein Hamburger und kein Taco war. Christopher merkte jetzt erst, was für einen Hunger er hatte. »Ein paar Tage vorher hatte mich einer aus unserer Parallelklasse gefragt, ob man eigentlich eine Wasseruhr zurückstellen kann. Ich hab ihm erklärt, dass das schwierig ist. So ein Ding ist verplombt, ein Öffnen der Plombe ist Urkundenfälschung, außerdem gibt es interne Sicherheitsmechanismen.«
Serenity deutete auf das klobige Ding, das über die Arbeitsfläche hinausragte. »Eine Wasseruhr? So was wie das da?«
»Ja. Genau. Ich hab keine Ahnung, wie er auf die Frage gekommen ist – vielleicht wollten seine Eltern sich davor drücken, die Wasserrechnung zu zahlen, aber das war mir auch egal. Mich reizte nur das Problem an sich: Wie kann man eine Wasseruhr zurückstellen, ohne sie zurückzustellen?«
»Gar nicht«, sagte Serenity.
»Doch. Wenn man radikal denkt, geht es.« Christopher spießte ein paar Fritten auf. »In Deutschland lief das damals so, dass der Zähler viermal im Jahr abgelesen wurde. Man konnte das selber machen und theoretisch natürlich eine falsche Zahl nennen, aber einmal im Jahr kam jemand von der Wassergesellschaft, um den Stand nachzuprüfen.«
»Sodass einem der falsche Zählerstand zwischendurch nichts nützt«, sagte
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