Kohärenz 01 - Black*Out
Serenity.
»Genau.« Christopher stand auf, um sich den Wasserzähler an der Wand genauer anzuschauen. »Okay, der hier zählt eure komischen Gallonen. In Europa sind es Kubikmeter, und typischerweise hatte so ein Ding damals vor dem Komma vier Stellen. Vier Stellen, das entspricht zehntausend Kubikmetern. Wenn man so viel Wasser verbraucht hat, steht der Zähler wieder genau auf der Ausgangsposition. Nehmen wir mal an, man fängt mit zweihundertdreißig Kubikmetern an und verbraucht anschließend zehntausend Kubikmeter, dann zeigt die Wasseruhr am Ende wieder zweihundertdreißig Kubikmeter an, weil die oberste Stelle verloren geht – das ist wie beim Computer, wenn ich einen register shift mache und einen overflow kriege …«
Kyle und Serenity ächzten und winkten gleichzeitig ab.
»Das mit dem Zähler verstehe ich besser«, gab Kyle zu. »Das hab ich mir schon mal für Autos überlegt. Wenn ich eine Million Meilen schaffe, springt der Zähler wieder auf null. Bloß – schaff mal eine Million Meilen mit so einem Ding!«
Christopher setzte sich wieder. »Ja, das ist genau der Punkt. Pro Person verbraucht man – was weiß ich – vielleicht vierzig Kubikmeter pro Jahr. Oder lass es fünfzig sein. Jedenfalls Lichtjahre von den zehntausend Kubikmetern entfernt.« Christopher säbelte sein Schnitzel einmal quer durch. »Aber im Prinzip wäre es machbar. Ich habe es ausprobiert. Ich habe im Keller alle Hähne aufgedreht und gemessen, wie schnell ich damit Eimer füllen kann. Zwanzig Liter pro Minute sind kein Problem. Das wäre ein Kubikmeter in fünfzig Minuten. Zehntausend Kubikmeter rauslaufen zu lassen würde etwas über achttausenddreihundert Stunden dauern oder umgerechnet knapp dreihundertsechsundvierzig Tage. Danach sähe die Wasseruhr aus, als hätte man überhaupt nichts verbraucht.«
»Hast du das deinem Freund im Ernst vorgeschlagen?«, fragte Serenity entgeistert. »Das Wasser ein Jahr lang nonstop laufen zu lassen?«
»Ich hab ihm erklärt, dass es theoretisch so ginge. Aber das haben sie natürlich nicht gemacht.«
Christopher nahm noch etwas von dem Gemüse – Erbsen, Karotten und irgendetwas, das er nicht identifizieren konnte. »Egal. Jedenfalls hat mich diese Geschichte auf die entscheidende Idee gebracht. Wenn ich die Order nicht zurückholen kann, habe ich mir gesagt, dann muss ich eben in die andere Richtung denken. Radikal.«
»Und so bist du auf die Idee gekommen, jedem eine Milliarde Dollar zu überweisen«, schlussfolgerte Kyle. »Unter anderem auch euch selbst. Was in all der Geldflut nicht weiter auffallen würde.«
Christopher schüttelte den Kopf. Es verblüffte ihn immer wieder, wie wenig die meisten Menschen in Systemzusammenhängen denken konnten. »Nein, natürlich nicht. Das hätte uns nichts genutzt, genauso wenig wie euch damals. Nein, der Plan war, so viel Chaos zu schaffen, dass man die Backups zurückspielen und den Stand vom Tag zuvor wiederherstellen musste. Den Stand, bevor meine Mutter ihre verhängnisvolle Order abgesetzt hat.«
Kyles Kinnlade sank herab. »Du hast das beabsichtigt?«
»Klar. Ich habe nachgedacht, was ich machen konnte, und mir dann überlegt, wie die Banken darauf reagieren würden. Was für Möglichkeiten sie hätten. Wozu sie gezwungen sein würden. Ich habe mir gesagt, dass all die Leute, die ich zu Milliardären mache, mir helfen würden, das Chaos noch zu vergrößern. Jeder würde versuchen, etwas von dem Geld in die Finger zu bekommen. Man würde die Bankautomaten stürmen, die Schalter, die Onlinezugänge … Die ganze Situation würde im Nu völlig unübersichtlich werden. Schließlich würde keine andere Lösung übrig bleiben, als alles auf den Stand vor dem Chaos zurückzusetzen.« Christopher hob die Schultern. »Und so ist es ja auch gekommen.«
»Bloß, dass sie dich erwischt haben«, meinte Kyle.
»Ja. Das hat sich nicht vermeiden lassen. Das war mir von vornherein klar.«
Christopher sah sich wieder vor dem Rechner seiner Mutter sitzen, in ihrem Büro, das dunkel war bis auf die Schreibtischlampe und den Bildschirm. Durch die Fenster ging der Blick auf die lichterfüllte Silhouette des nächtlichen Frankfurts. Davor, auf dem Fensterbrett, stand eine Digitaluhr mit großen roten Ziffern, die 23:50 anzeigte. Zehn Minuten vor Mitternacht. Zehn Minuten, die ihm noch blieben, um zu entscheiden, ob er es wirklich tun wollte.
Das Programm war fertig. Es stand vor ihm am Schirm. Noch war nichts geschehen. Er konnte es löschen, und
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