Kohärenz 01 - Black*Out
dann würde niemand je erfahren, dass er hier gewesen war.
Oder er konnte es starten. Es losschicken in das abgeschirmte Netz der Bankcomputer. Und damit etwas auslösen, das einem Bombenangriff gleichkam.
Seine Entscheidung.
Sein Zeigefinger schwebte über der Eingabetaste. Sie zu drücken, würde sein Leben unwiderruflich verändern, das war ihm klar. Seines und das seiner ganzen Familie.
Aber wie sah die Alternative aus? Opa würde seine Werkstatt verlieren. Oma ihr Atelier, ihren Garten, ihre Malerei. Sie würden den Rest ihrer Tage in irgendeiner winzigen Wohnung von Opas karger Rente leben müssen.
Dad würde es wenig ausmachen, er war genügsam. Wenn man ihm einen Computer gab, brauchte er sonst fast nichts.
Aber seine Mutter würde es nicht ertragen. Nicht, dass sie geldgierig gewesen wäre – aber sie hasste es, arm zu sein.
23:51 Uhr.
Seine Entscheidung. Und es würde keine zweite Chance geben. Er musste es jetzt tun, oder er würde es nie tun können.
Christopher drückte die Taste.
Und dann machte er, dass er raus und nach Hause kam, ehe das Chaos losbrach.
»Himmel«, stieß Serenity hervor, als er am Ende war mit seiner Erzählung. »Wenn ich versuche, mir das vorzustellen …«
Kyle legte sein Besteck beiseite. »Du hast die ganze Welt aufgemischt, nur um ein paar Bits und Bytes auf ein paar Festplatten verschwinden zu lassen?«
»Es ging nicht anders.« Christopher merkte, dass sich seine Hand, die das Messer hielt, verkrampft hatte. Er legte es neben den Teller. »Was hättest du an meiner Stelle gemacht?«
»Wahrscheinlich dasselbe«, gab Kyle zu. »Und ich hätte mir gesagt, dass wir uns die Welt ganz schön verrückt eingerichtet haben.«
Serenity goss ihnen allen Cola nach. »Was haben deine Eltern dazu gesagt? Als das Chaos ausbrach, meine ich. Als alle Zeitungen voller Nachrichten über Computer Kid waren? Sie müssen dir doch dankbar gewesen sein?«
»Das waren sie auch. Sie haben mir nie irgendwelche Vorwürfe gemacht. Sie haben den ganzen Tumult ertragen, und selbst als wir nach England gezogen sind, um dem Ganzen zu entkommen, waren sie nie sauer auf mich.«
Seine Mutter war, obwohl sie ihren Job verloren hatte, an manchen Tagen richtig fröhlich gewesen. »Jetzt hat unser Leben eben eine ganz unerwartete Wende genommen«, hatte sie lachend erklärt. »Hat auch was für sich, finde ich.«
Niemand von ihnen hatte zu diesem Zeitpunkt ahnen können, dass diese Wende geradewegs in die Katastrophe führen sollte.
29 | Am nächsten Morgen hatte sich immer noch niemand gemeldet. Auch Kyle schien nicht zu wissen, wie und wann ihre Reise weitergehen sollte. Sie mussten weiterwarten.
Am Vorabend hatten sie nach dem Essen noch ein wenig durch die Fernsehprogramme gezappt und waren dann früh zu Bett gegangen. Christopher hatte zum ersten Mal seit Langem richtig gut geschlafen und war am Morgen mit einem ungewohnten Gefühl von Normalität aufgewacht. Ein paar köstliche Minuten lang war ihm gewesen, als habe ihn ein gütiges Schicksal in ein ganz anderes, friedliches Leben versetzt, ein Leben, in dem er in einem unauffälligen Einfamilienhaus in einem Vorort von Idaho Falls lebte und alles andere nur ein böser Traum gewesen war.
Doch beim Frühstück fragte Serenity ihn dann prompt: »Was hast du gestern eigentlich mit Upgrader gemeint?«
Christopher hatte den Mund gerade voller Cornflakes. Er kaute langsamer, um ein bisschen Zeit zum Nachdenken herauszuschinden.
»Leute mit einem Chip im Hirn«, sagte er schließlich. »So wie ich.«
»Aber wieso jagen sie dich?«
»Weil ich abtrünnig bin.«
Serenity nickte. Die Erklärung schien ihr einzuleuchten.
In Wirklichkeit erklärte sie überhaupt nichts. Aber das behielt Christopher für sich.
Kyle, der nichts frühstückte, nur im Stehen an einem Kaffee nippte, trat ans Fenster und sah auf die Straße hinaus. »Es wäre vielleicht gut, wenn wir mehr darüber wüssten«, sagte er.
»Wer sind die? Was wollen die?« Er ließ den Vorhang wieder los, drehte sich um und richtete die Kaffeetasse auf Christopher. »Und wie zum Teufel kommt jemand dazu, sich einen Chip ins Hirn pflanzen zu lassen?«
»Man hat mich nicht gefragt. Wenn du das meinst.«
»Nein, ich meine, ich weiß gern, mit wem ich es zu tun habe. Ich hatte heute Nacht Albträume von diesen Hubschraubern, die uns gestern angegriffen haben. Und ich verstehe immer noch nicht, warum sie das getan haben. Ich verstehe auch nicht, wie es dazu kommen konnte. Irgendwelche
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