Kohärenz 02 - Hide*Out
konnte.
Serenity setzte sich in die Nähe der Musiker. Die hatten offensichtlich nicht mitgekriegt, was Christophers Vater gesagt hatte, denn sie waren noch gut drauf. Madonna sang und spielte eine der drei Gitarren. Die Saiten schimmerten unter ihren Fingern und sie warf beim Singen immer wieder ihr langes schwarzes Haar zurück. Einer trommelte auf Bongos dazu, nicht ganz akkurat, ein anderer füllte mit seiner Mundharmonika die Passagen zwischen den Versen. Doch, die waren gut drauf heute Abend.
Es wäre sowieso das Beste gewesen, überlegte Serenity düster, nie irgendwas von Upgradern und alldem erfahren zu haben. Dann wäre sie jetzt zu Hause in Santa Cruz, würde in ihrem Bett liegen, Radio hören und ihre schlimmste Sorge würde sein, mit wem sie zum Abschlussball gehen und welches Kleid sie dabei tragen würde. Und wenn die Kohärenz ihr dann irgendwann den Chip verpasste, hätte sie wenigstens bis dahin ein schönes Leben gehabt.
Aber es kommen zu sehen…
Wozu versteckten sie sich hier? Was brachten all die Vorsichtsmaßnahmen? Wenn es letztlich doch darauf hinauslief, dass die Kohärenz siegte, dann konnten sie es auch lassen, oder?
Die Musiker legten die Instrumente beiseite. Sie nahmen noch den Abschlussapplaus entgegen, dann fielen sie über den Kessel auf dem Feuer her. Madonna bekam den ersten Teller, sah sich suchend um. Serenity winkte und rückte beiseite, damit sie sich neben sie setzte.
»Das tut jetzt gut«, meinte Madonna kauend. Wie immer konnte Serenity nur staunen, was für Portionen ihre Freundin vertilgen konnte, ohne dass es die geringsten Auswirkungen auf ihre schlanke Linie hatte.
Wahrscheinlich würde es ihr den Appetit verschlagen, wenn Serenity ihr erzählte, was sie umtrieb. Aber sie musste es loswerden, es ging nicht anders.
10 | Niemand hatte den alten, grau lackierten Lieferwagen, der seit dem Mittag vor der Hecke zwischen 280 Windham Street und dem Nachbargrundstück parkte, eines zweiten Blicks gewürdigt. Lilian Jones hatte ihn nicht beachtet und die drei Upgrader auch nicht.
Niemandem war das Kabel aufgefallen, das vom Heck dieses Fahrzeugs auf die Straße hing, durch einen breiten Riss im Gehsteig lief und in ebendieser Hecke verschwand. Wäre es jemandem aufgefallen und wäre es ihm verdächtig genug erschienen, um ihm zu folgen, hätte er festgestellt, dass es bis ins Haus führte. Dort teilte es sich und endete in zwei winzigen Videokameras, die den Flur und das Wohnzimmer beobachteten.
Der Lieferwagen gehörte einem gewissen Brian Dombrow, der seit Jahrzehnten mit Jeremiah Jones befreundet war und dieser Freundschaft wegen seit Neuestem auf den Fahndungslisten des FBI stand. Er hatte diesen Lieferwagen einst zu einem Wohnmobil umgebaut, ohne dass man das dem Wagen von außen angesehen hätte. An diesem Abend ähnelte das Innere allerdings eher einer Elektronikwerkstatt. Brian und ein junger Mann mit langen Locken, die er zum Pferdeschwanz gebunden trug, saßen vor einem Computermonitor, auf dem man in zwei Fenstern beobachten konnte, was die beiden Kameras aus dem Haus übertrugen.
»Das war sehr vorausschauend von deinem Vater, Kyle«, meinte Brian, als sie sahen, was in dem Koffer war, den der Mann auf den Wohnzimmertisch legte und öffnete. »Uns hier Wache beziehen zu lassen, meine ich.«
»Ja«, sagte Kyle knapp, hob das Funkgerät an die Lippen und drückte die Sprechtaste: »Panda. Wiederhole: Panda.« Das war ein Code, der so viel besagte wie: »Bereit machen zum Eingreifen«. Sprechfunk war nicht geschützt; jeder, der auf derselben Frequenz empfing, konnte mithören, was sie sagten. Es war also ratsam, darauf zu achten, dass Außenstehende nicht verstanden, was sie zu hören bekamen.
Brian legte die Hand an den Einschaltknopf eines klobigen Gerätes, das unter seinen Beinen auf dem Boden stand. Zwei Kabel liefen von ihm weg; eines zur Stromversorgung des Busses, das andere zu einer Antenne, die wie eine harmlose Radioantenne aussah, tatsächlich aber eine Sendeantenne war: Bei dem Gerät handelte es sich um einen sogenannten Jammer, einen Störsender, der auf den Frequenzen des Mobilfunks arbeitete.
Sie verfolgten, in körnigem Schwarz-Weiß, wie Kyles Mutter das Wohnzimmer betrat und innehielt, als sie das chirurgische Instrument in der Hand des Mannes bemerkte.
Kyle hieb auf die Sprechtaste. »Rock ‘n’ Roll«, rief er mit bebender Stimme. »Rock ‘n’ Roll, sofort!«
Dann zog er eine Pistole hervor und sprang durch die Hintertür aus
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