Kohärenz 02 - Hide*Out
Auto saßen. »Hab ich was verpasst?«
Jeremiah schob den Schlüssel ins Schloss. »Wenn du Leute anrufst, die dir beim Umziehen helfen sollen, dann sagst du denen auch nicht, ›du bist der Erste, aber ich hoffe, ich kann noch jemanden organisieren‹. Nein, du sagst jedem, dass vermutlich fünf bis zehn Leute kommen – dann sagt sich jeder, ›okay, das ist zu schaffen‹, und kommt und am Schluss hast du wahrscheinlich fünfzehn Helfer. So läuft es nun mal.« Er ließ den Motor an. »Und wir ziehen die Aktion sowieso nur durch, wenn wir wirklich genügend finden, die mitmachen. Ein paar Artikel in ein paar kleinen Zeitschriften würden nur Schaden anrichten.«
»Aber das muss mir trotzdem nicht gefallen«, sagte Rus. »Dass wir Leute anlügen, die uns helfen wollen.«
»Nein, muss es nicht. Ich entschuldige es vor mir auch nur damit, dass wir in einem Krieg stehen«, sagte Jeremiah und fädelte den Wagen in den Verkehr ein. »Und einen Krieg gewinnt man nicht nur mit Handlungen, die einem gefallen.«
55 | Christopher erwachte mit grässlich trockenem Mund. Er schlug die Augen auf, sah diffuses Dunkelgrün und war sich sicher, dass sein Kopf auf doppelte Größe angeschwollen war. Auch seine Erinnerungen waren höchst diffus. Sie waren ewig lang durch die Nacht gefahren und er hatte allerhand geniale Erkenntnisse gewonnen, an die er sich nur nicht mehr erinnerte. Überhaupt erinnerte er sich ab einem bestimmten Punkt an gar nichts mehr. Zum Beispiel war es ihm rätselhaft, wie er in diesen Schlafsack gelangt war.
Schon wieder. Er wünschte sich, mal wieder aufzuwachen und sich frisch und erholt zu fühlen. Oder einfach nur normal. Gern auch müde. Hauptsache, nicht dauernd so, als habe er eins mit einer Bratpfanne vor den Kopf bekommen.
Er drehte sich mühsam zur Seite. Der andere Schlafsack war leer. Okay, das überraschte ihn jetzt nicht wirklich. Die anderen waren also schon auf. Wobei es dafür ziemlich still war draußen. Keine Frühstücksgespräche am Lagerfeuer heute?
Er sammelte noch mal Kräfte, wälzte sich dann auf den Bauch und stemmte sich hoch, um den Reißverschluss zu öffnen. Helles Licht drang herein. Ziemlich helles Licht. Er schlug die Plane zurück, sah Gras und Bäume und Insekten, die im Sonnenlicht umherschwirrten.
Ein ganz normales Bett in einem ganz normalen Haus wäre auch mal wieder eine nette Abwechslung gewesen. Wenn er schon dabei war, sich was zu wünschen.
Schritte. Jemand kam. Serenity. Stand da im flirrenden Licht, sah auf ihn herab und fragte: »Na? Ausgeschlafen?«
Christopher konnte ein Stöhnen gerade noch vermeiden. »Geht so«, meinte er. Worte zu formulieren, war anstrengender, als er gedacht hatte. »Ist schon spät, oder?«
»Kann man so sagen«, erwiderte sie. »Halb vier Uhr nachmittags.«
Als Kind hatte Serenity in dem Wald, der damals an ihr Elternhaus grenzte, ganze Tage einfach damit verbracht, nichts zu tun. Sie hatte nur dagesessen, in das Helldunkel der Bäume und Sträucher geschaut und den Geräuschen gelauscht – dem Zwitschern der Vögel, dem hastigen Rascheln der Mäuse im Unterholz, dem düsteren Knarren der Bäume, dem Rauschen ihrer Wipfel im Wind. Sie hatte verfolgt, wie eine Gruppe Ameisen irgendwelche Tannennadeln oder Holzspäne scheinbar sinnlos hin und her zerrten, hatte Vögel beobachtet, die durchs Geäst turnten, hatte Zeit und Raum vergessen.
Seltsam, dass ihr das erst jetzt wieder einfiel.
Als die anderen zum Einkaufen aufgebrochen waren, hatte sie sich freiwillig gemeldet, im Lager zu bleiben. Sie hatte sich in dem Moment nicht klargemacht, wie weit die anderen würden fahren müssen und wie lange sie unterwegs sein würden. Serenity war kalifornische Verhältnisse gewöhnt, wo man an jeder Straßenecke einen gigantischen Supermarkt fand.
Es hatte sich gezeigt, dass Kyle recht behalten sollte mit seiner Vermutung, Christopher würde so schnell nicht aufwachen. Serenity hatte das Geschirr vom Frühstück abgewaschen, ein bisschen aufgeräumt und dann… nichts mehr. Im ersten Moment hatte sie Panik bekommen: Nichts zu tun! Nichts zu lesen! Kein Mensch, mit dem sie sich unterhalten konnte!
Sie würde sich langweilen!
Aber dann hatte sie sich einfach hingesetzt und es war wieder gewesen wie früher. Friedlich. Sie hatte ganz vergessen gehabt, wie friedlich das Leben sein konnte.
Das kam vom Leben in der Stadt. Und davon, dort auf eine Schule zu gehen. Da kam es einem irgendwann normal vor, dass ständig Unruhe herrschte,
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