Kohärenz 03 - Time*Out
hätte den Begriff ja nachschlagen können. Er war nur nicht auf die Idee gekommen.
Aber das war nun mal das Problem mit Ideen. Wenn man eine hatte, kam sie einem oft total naheliegend vor. Aber wenn man sie nicht hatte, hatte man sie eben trotzdem nicht.
Irgendwann am Nachmittag – Christopher hing der Magen allmählich in den Kniekehlen – endete der sandige Pfad, dem sie folgten, auf einem Parkplatz. Jenseits einer hölzernen Umfriedung sah man Dünen und dahinter das Meer, dunkelblau und in heftiger Bewegung, voller wandernder weißer Schaumlinien. Ein ordentlicher Wind blies. Man spürte, wie das Wohnmobil davon sanft geschaukelt wurde.
»Da sind wir«, sagte Guy. »So gut wie jedenfalls. Wir müssen nachher noch um diese Bucht herum, hinter dem Hügel da drüben ist es dann.« Er deutete mit der Hand die Richtung an. »Aber erst gibt's einen kleinen Imbiss, würde ich vorschlagen.«
»Das sieht hier wirklich aus wie das Ende der Welt«, meinte Serenity beeindruckt.
»Nicht wahr?«, stimmte ihr Guy zu. »Interessanterweise heißt das Departement, in dem wir uns befinden, Finistère. Das leitet sich von dem Namen ab, den die alten Römer dieser Gegend gegeben haben: Finis Terrae. Das ist Lateinisch für Ende der Welt.«
Christopher musste an die Kohärenz denken und an ihren aussichtslosen Kampf gegen sie. Ihn schauderte. Ende der Welt. Was für ein passender Name!
Ein belegtes Baguette und ein paar Schluck Cola später wendete Guy das Wohnmobil und fuhr zurück auf die westwärts führende Straße. »Wir kochen nachher richtig«, versprach er. »Ich hab nur grade was gebraucht. Die letzten Kilometer hat meine Konzentration nachgelassen. Und es ist nicht gut, wenn man irgendwo ankommt und unaufmerksam ist.«
Der Ort, den sie zwanzig Minuten später erreichten, hieß Locmézeau. Er umschloss, soweit man das aus der Ferne erkennen konnte, eine weitere Bucht mit einem kleinen Hafen. Auf der Straße in den Ort standen Absperrgitter und dahinter Uniformierte, die aufpassten, dass man der Umleitung auch tatsächlich folgte.
»Wie gesagt«, meinte Guy und lenkte sein Fahrzeug in die von einem gelben Pfeil mit der Aufschrift Deviation bezeichnete Richtung, »die Filmleute sorgen für maximales Durcheinander. Wenn das jemand anders versuchen würde, gäb's Proteste ohne Ende. Aber sobald der Film kommt, sind alle begeistert und nehmen jede Schikane in Kauf.«
Die Straße gabelte sich. Ein Wegweiser mit der Aufschrift Camping wies nach rechts, doch Guy fuhr nach links.
»Es gibt hier zwei Campingplätze«, erklärte er. »Der Wegweiser führt zu dem großen am Strand. Aber da sind jetzt alle Leute mit Kindern, plus die ganzen Schaulustigen. Wobei die nicht viel Spaß haben werden; der Strand wird nächste Woche abgesperrt für Szenen, die dort spielen.« Er deutete in die Richtung, in die sie fuhren. »Wir gehen auf den kleineren Campingplatz, landeinwärts. Der ist okay – alles da, was man braucht, und viel weniger Leute. Zumindest war es so, als ich Dienstagmorgen aufgebrochen bin.«
Dienstagmorgen. Christopher dachte zurück an die Tage, die hinter ihnen lagen. Dienstagfrüh waren sie in Lyon angekommen, am Nachmittag in Rennes.
»Hast du uns in Rennes tatsächlich die ganze Zeit beobachtet?«, fragte er.
»Mehr oder weniger.«
»Ich hab dich nicht bemerkt.«
Guy lachte kurz. »Das will ich doch hoffen.«
Christopher fragte sich, wie Guy das gemacht hatte. Er war eine so auffällige Erscheinung, dass man sich nicht vorstellen konnte, jemanden wie ihn zu übersehen.
Der Campingplatz wirkte verlassen. Ein älteres Ehepaar saß vor einem kleinen Wohnwagen an einem Klapptisch; der Mann las Zeitung, die Frau ein Buch. Am anderen Ende des Platzes stand ein dunkelgrünes Zelt neben einem alten Renault. Und das war es schon.
Sie suchten sich einen Stellplatz, auf dem sie ebenfalls für sich waren. Christopher half Guy, das Wohnmobil an Wasser und Strom anzuschließen. Guy schlug vor, sich zunächst ein wenig die Beine zu vertreten, und da Serenity dafür war, widersprach Christopher nicht, der am liebsten sofort mit der Arbeit angefangen hätte. Sie folgten Guy auf einen Trampelpfad zwischen Feldern und undurchdringlichem Gestrüpp in Richtung Dorf. Ein grasender Esel auf einem abgezäunten Feld, den Serenity »süß« fand, ignorierte ihre Lockrufe hochnäsig. Nach ein paar seltsam unfertig wirkenden Neubauhäusern erreichten sie endlich einen Punkt, von dem aus man einen Blick auf den Ortskern
Weitere Kostenlose Bücher