Kohärenz 03 - Time*Out
man Vögel zwitschern, die einander durch die Azaleen jagten. Es duftete nach gemähtem Gras, nach Swimmingpool, nach Sommer.
Brad betrachtete die Wimpel und Medaillen, die über seinem Bett an der Wand hingen, erinnerte sich an die Wettkämpfe, bei denen er sie errungen hatte. Auch wenn er sich das nie eingestanden hatte, die Highschool hatte ihm Spaß gemacht. Er hatte gar keine Lust, irgendwo anders neu anfangen zu müssen.
Was machst du gerade?, dachte er an Tiffany gerichtet.
Nichts, kam ihre Antwort. Ich liege nur so herum. Ist heiß heute, hmm?
Hast du dich schon fürs College angemeldet?
Schon ewig.
Mist. Wie es aussah, musste er damit wirklich allmählich in die Gänge kommen. Sehen wir uns morgen?, fragte er.
Tiffany zögerte. Ich weiß noch nicht. Lass uns morgen kontakten.
Na gut. Dann hatte er jetzt wohl keine Ausrede mehr. Er zog die Schublade auf, kramte den braunen Umschlag hervor, zog die Formulare heraus und breitete sie vor sich auf dem Tisch aus. Er betrachtete das erste Formblatt. Es begann mit: Vorname, Name. Okay. Damit konnte er ja einfach mal anfangen. Er nahm einen Kugelschreiber zur Hand.
Vorname? Bradley, schrieb er.
Es klopfte an der Tür. Brad drehte sich um. »Ja?«, rief er.
Seine Mutter streckte den Kopf herein, sah ihn verärgert an. »Sag mal, bist du taub geworden? Ich schrei mir die Lunge aus dem Leib. Das Abendessen steht auf dem Tisch. Wäre nett, wenn du uns die Ehre gibst.«
»Das Abendessen?« Brad hatte das Gefühl, nicht richtig zu hören.
»Und«, fuhr Mutter etwas leiser fort, »sag bitte nichts, was Dad aufregen könnte. Er ist heute ziemlich schlecht gelaunt.« Damit verschwand sie wieder.
Brad starrte die Tür an. Was zum Teufel hatte das zu bedeuten? Abendessen? Waren jetzt alle verrückt geworden oder was? Er zog sein Telefon aus der Tasche und warf einen Blick darauf.
Die Uhr zeigte kurz nach halb acht.
»Ist nicht wahr, oder?«, murmelte Brad. Wie war das möglich? Er hatte doch gerade erst... Da. Das Formular. Das Feld Vorname war ausgefüllt, der Rest noch nicht.
Er hatte doch gerade eben erst damit angefangen! Wo war der Nachmittag geblieben?
Pufferzone
65
Die Fahrt dauerte länger, als Christopher erwartet hatte. Die Straßen wurden immer schmaler und gewundener, waren irgendwann nur noch von hohen, bewachsenen Wällen und Steinhaufen gesäumte Wege, die zwischen Kuhweiden und Feldern in Richtung Niemandsland führten. Sie passierten Treibhäuser und grasende Kühe, Windräder, die sich behäbig drehten, und windschiefe Gehöfte, auf denen tatsächlich Menschen zu leben schienen. Je weiter sie kamen, desto verkrüppelter wirkten die Bäume am Straßenrand. Efeu überwucherte sie, erwürgte sie fast und ließ sie aussehen wie Fabelwesen.
Christopher erzählte von seinem Verdacht: Dass irgendwo in all den Videos, die Guy gesammelt hatte, eine Information verborgen lag, die der Kohärenz gefährlich werden konnte. Während er sprach, musste er immer wieder verstohlen zu Guy hinüberschauen, der das Wohnmobil mit von Erfahrung zeugender Gelassenheit lenkte. Es fiel Christopher schwer, in ihm jenen Hacker zu sehen, mit dem er fast zehn Jahre lang in Kontakt gestanden hatte. Das sollte der PentaByte-Man sein, der ihm, mal geduldig, mal amüsiert, so viel beigebracht hatte? Der für ihn wie ein großer Bruder gewesen war?
Dieser lebenslustige Dandy?
Das war schwer zu schlucken. Wäre er Guy unter anderen Umständen begegnet, nie im Leben hätte er vermutet, es mit dem PentaByte-Man zu tun zu haben.
»Wieso PentaByte-Man?«, fragte Christopher irgendwann. »Wieso nicht PetaByte-Man?«
»Ein Wortspiel«, erwiderte Guy schulterzuckend. »Penta ist das griechische Wort für fünf, ein Byte sind acht Bit. Fünf mal acht sind vierzig, forty – na, und das klingt wie mein Familienname, Forti.«
»Ah«, machte Christopher. Nach einer Weile bekannte er: »Ich hab wegen deinem Pseudo jahrelang Pentabyte gesagt statt Petabyte. Ich dachte, das heißt so.«
»Ist gar nicht so unüblich. Viele sagen Pentabyte für tausend Terabyte. Klingt einfach besser.«
»Vielleicht bin ich nicht der Einzige, der von dir und deinem Projekt gehört hat.«
»Hab ich mir noch gar nicht überlegt. Du meinst, vielleicht bin ich schuld, dass so viele Leute das Wort falsch verwenden?« Der Gedanke schien ihn zu amüsieren.
Christopher schwieg, sah wieder aus dem Fenster. In dieser Sache fühlte er sich irgendwie von Guy betrogen. Dabei war Guy völlig unschuldig. Er
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