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Kohärenz 03 - Time*Out

Titel: Kohärenz 03 - Time*Out Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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ihm ächzte leise. Er legte den Arm um sie. »Solche Teile haben in der Werkstatt meines Opas dutzendweise von der Decke gehangen. Wie Schinken beim Metzger.«
    »Gewöhnungsbedürftig«, meinte sie matt.
    Guy fingerte im Inneren des künstlichen Unterschenkels herum, den er mitsamt Strumpf und Schuh in Händen hielt. »Interessant, wie viel Platz in so einem Ding ist«, erklärte er und zog ein schwarzes Kästchen heraus. »Hier. Das ist die Einheit, die alles speichert, was meine Brille sendet. Komplett mit Batterie. Es genügt, wenn ich den Speicher einmal pro Woche in meinen Computer überspiele.«
    Serenity bekam große Augen. »Und das jetzt? Wird das auch aufgenommen?«
    »Selbstverständlich. Jeden Tag, jede Minute, jede Sekunde.« Das schien so etwas wie sein Wahlspruch zu sein. »Das einzig Blöde ist, dass die Brille jede Nacht ans Ladegerät muss; länger als einen Tag hält die Batterie nicht durch.« Er berührte den Brillenbügel. »Aber viel, viel besser als das anfängliche Gefriemel mit Kabeln und Rekorder im Jackett oder am Gürtel. Ich weiß nicht, ob ich das durchgehalten hätte. Tja – nun wisst ihr Bescheid.« Er grinste und machte sich daran, die Prothese wieder anzusetzen.
    Serenity räusperte sich. »Mr Forti«, begann sie zögernd, »ich würde gerne wissen, wieso Sie das machen. Ihr ganzes Leben aufzuzeichnen, meine ich.«
    Guy musterte sie amüsiert. »Schöne junge Frau, nenn mich bitte Guy. Sonst müsste ich Miss Jones zu dir sagen. Und das wäre doch grässlich, oder?«
    »Okay. Guy. Wieso?«
    Guy überlegte. »Einen wirklich praktischen Grund kann ich dir gar nicht nennen. Es ist nicht praktisch. Es dient auch keinem vernünftigen Zweck. Ich mache es, weil ich eines Tages die Idee dazu hatte und den Drang verspürt habe, sie zu verwirklichen. Das Ganze ist, mit einem Wort, Kunst. Kunst macht man um ihrer selbst willen.« Er hob sein Weinglas, merkte, dass es längst leer war, genau wie die Flasche, und stellte es wieder hin. »Meine erste Videokamera habe ich zu Weihnachten bekommen. Ein schweres, hässliches, umständliches Teil, verglichen mit den Geräten, die es heutzutage gibt. Aber ich war unendlich fasziniert davon, dass man damit herumlaufen und aufnehmen konnte, was immer einem begegnete. Das war eine Offenbarung!«
    »Wie alt warst du da?«, fragte Christopher.
    »Elf. Ich war auf dem Gymnasium und dort wurde ich der Typ mit der Videokamera. Ich hab alles gefilmt: Versuche im Chemieunterricht, in Biologie, in Physik. Schulfeste. Ansprachen. Sportwettkämpfe – selber teilnehmen konnte ich ja nicht. Ich habe ein Archiv für die Schule angelegt, richtige Dokumentationen erstellt, die die Lehrer später im Unterricht verwendet haben. Wie sich Kaulquappen in Frösche verwandeln, zum Beispiel. In der vorletzten Klasse habe ich Videos über verschiedene Berufe gemacht: meine erste Auftragsarbeit. Unser Rektor hat mich darum gebeten, hat sogar die nötigen Kontakte hergestellt. Ich bin mir richtig wichtig vorgekommen.«
    Er schmunzelte. »Natürlich wollte ich damals Kameramann werden, nach Hollywood gehen und groß rauskommen. Aber als ich zusammen mit der Theater-AG unserer Schule einen kleinen Spielfilm gedreht habe – ach was, ein Kurzfilm war das, keine zehn Minuten lang –, da ging mir auf, dass der Spielfilm gar nicht mein Ding ist. Ich gucke gern Filme, wohlgemerkt. Ich bin auch nicht beleidigt, wenn man mich einen Cineasten nennt. Aber selber machen? Nein, danke. Der ganze Aufwand, Szenen zu inszenieren, zu proben und noch einmal zu proben, wieder und wieder aufzunehmen ... Nein. Dabei sein, wenn etwas passiert, und es so aufnehmen, wie es passiert – das ist mein Ding.« Er hob die Hände. »Im Grunde ist mein Videoprojekt nichts anderes als die ultimative Dokumentation.«
    »Nach dem, was Christopher erzählt hat, hätte ich eher gedacht, dass du dich schon immer mit Computern beschäftigt hast«, sagte Serenity.
    Guy lächelte sie ölig an. »Computer haben in meinem Leben eine feste Rolle bekommen, als die digitalen Kameras aufkamen. Auf einmal konnte man Videos am Computer schneiden und bearbeiten, auf den Frame genau, konnte überblenden und mischen und Effekte einsetzen mit ein paar Tastendrücken ... kolossal. Bloß teuer. Die ersten Geräte, die so was draufhatten, waren für einen Abiturienten unbezahlbar. Die Schule hat Computer angeschafft, aber die waren nicht leistungsfähig genug.« Er hob die Schultern. »Allerdings waren sie leistungsfähig genug, um

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