Kohärenz 03 - Time*Out
Tastaturen loszulassen. Sie hatte das Gefühl, dass die beiden immer tiefer in einer Art Trance versanken, aus der sie inzwischen nicht einmal mehr die Unterbrechung durch eine Mahlzeit herausreißen konnte. Sie nahmen sich einfach ihren Teller mit vor den Computer. Es war, als würde Serenity mit zwei Menschen zusammenleben, für die sie unsichtbar geworden war.
Und vielleicht war genau diese Versenkung notwendig, um das Problem zu lösen. Vielleicht ging es nicht anders.
Sie würde einfach solange Urlaub machen.
Beim nächsten Einkauf kaufte sie im Supermarkt einen billigen und nicht allzu hässlichen Bikini und suchte am Nachmittag den Weg zum Strand. Das war eine halbe Stunde zu Fuß; kein Problem, sie hatte ja Zeit. Anders, als Guy es angekündigt hatte, war nur ein kleiner Teil des Strandes für Dreharbeiten abgesperrt worden, wobei es dort noch nichts zu sehen gab. Serenity ging ins Wasser, das eiskalt war; sie hielt es keine zehn Minuten darin aus. Anschließend legte sie sich auf ihr Handtuch und döste vor sich hin.
Sie freundete sich auch ein wenig mit dem älteren Ehepaar an. Der Mann hieß Jean-Luc, war bei der Marine gewesen, sprach ein bisschen Englisch und erzählte von seinen Erlebnissen in Afrika. Die Frau hieß Cécile und fütterte Serenity mit Käsewürfeln, Oliven und Baguette. Abends stellten sie einen tragbaren Fernseher auf ihren Tisch und schauten Nachrichten, von denen Serenity kein Wort verstand, die sie aber gespannt verfolgte in der Hoffnung, ihren Vater zu sehen. Vergebens.
Und wenn sie es anders nicht mehr aushielt, setzte sie sich nach vorn auf den Beifahrersitz des Wohnmobils und hörte leise Musik. Musik war jetzt wie ein Anker, um nicht abzudrehen. Sie versuchte zu verstehen, was die französischen Sprecher sagten, ohne viel Erfolg. Ansonsten schaute sie aus dem Fenster und hing ihren Gedanken nach. Die sich meistens sorgenvoll um das Schicksal ihrer Eltern und der Hide-Out-Leute drehten.
Die Tage reihten sich einer an den anderen, Serenity verlor den Überblick, welchen Wochentag sie hatten. Egal. Ich habe Urlaub, sagte sie sich trotzig. Da spielen Wochentage keine Rolle.
Im Supermarkt kassierte ein pummeliges Mädchen in etwa ihrem Alter. Sie hatte dunkle Haare, malte zu viel Kajal unter ihre Augen, trug einen Stecker im linken Nasenflügel und plauderte mit allen Kunden, egal wie lang die Schlange war.
Und eines Tages hörte Serenity, wie sie »Lifehook« sagte.
Serenity war schon auf dem Weg zur Kasse gewesen, aber nun bog sie noch einmal ab, vor lauter Schreck. Vor dem Weinregal blieb sie stehen und tat, als könne sie sich nicht entscheiden. In Wirklichkeit beobachtete sie verstohlen die Kassiererin.
Tatsächlich. Das Mädchen bekam, sobald niemand an der Kasse war, einen inwendigen Blick, lächelte, kicherte sogar, als erzähle ihr ein kleiner Mann im Ohr Witze.
Mit anderen Worten: Sie unterhielt sich per Lifehook mit jemandem!
Serenity gruselte. So also rückte die Kohärenz ihnen näher. Harmlos. Mithilfe pummeliger Mädchen, die einfach nur mit ihren Freundinnen quasseln wollten.
Zum ersten Mal konnte sie verstehen, warum Christopher den Sieg der Kohärenz für unaufhaltsam hielt.
Was sollte sie tun? Durfte sie dem Mädchen überhaupt unter die Augen kommen? Die Kohärenz wusste natürlich, wie Serenity Jones aussah. Waren die Augen der Kassiererin durch den Lifehook, den sie trug, zu Überwachungskameras geworden, die Alarm schlagen würden?
Schließlich sagte sich Serenity, dass sie sich ohnehin nicht vor aller Welt verstecken konnte. Jeder, dem sie begegnete, konnte ein Lifehook-Träger sein. Und sie musste irgendwo einkaufen. Sie beschloss, Christopher und Guy nichts davon zu erzählen.
Inzwischen bekam sie nicht mehr mit, ob Christopher überhaupt je schlief. Er saß am Computer, wenn sie zu Bett ging, und wenn sie aufwachte, saß er wieder – oder noch – da. Er begann, einem Gespenst zu ähneln. Doch: Da war eine undeutliche Erinnerung, wie er im Dunkeln neben ihr lag. Er zuckte und keuchte und strahlte solch ungeheure Anspannung aus, dass sie kaum wagte, ihn zu berühren.
Serenity ging trotzig weiter aus. Sie erkundete das Dorf, war Zuschauer beim Dreh einer Szene, in der einfach nur jemand aus einer Tür gestürzt kam. Doch das wurde schier endlos oft wiederholt, aus immer neuen Winkeln gefilmt.
Richard Bryson war auch noch da. Sie sah ihn ab und zu, ging ihm aber aus dem Weg.
Schließlich entdeckte sie auf einem ihrer Streifzüge, dass ein
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