Kohärenz 03 - Time*Out
nicht riskieren wollte, dass die Menschen sahen, was geschah. Noch musste sie sich im Verborgenen halten.
Jeremiah Jones hatte recht gehabt mit seiner Idee, dass sie die Kohärenz treffen würden, wenn es gelang, ihre Existenz öffentlich zu machen. Es würde sie zwar nicht vernichten, aber es würde ihr Grenzen setzen.
Das Problem war bloß, das hinzukriegen. Die Kohärenz an die Öffentlichkeit zu zerren: Das ging nicht so einfach, wie Serenitys Vater sich das vorgestellt hatte. Einen Artikel mit allerlei Behauptungen in die Welt zu verschicken, genügte nicht; so etwas ließ sich zu leicht als haltlose Verschwörungstheorie abtun. Es hätte schon konkreter sein müssen. Beweisbarer. Irgendwie. Wie, das wusste Christopher auch nicht.
Guy kam wieder herein, hievte sich die Stufen hoch. »Also?«, fragte er. »Was machen wir?«
Er musterte ihn. Der PentaByte-Man sah abgrundtief erschöpft aus, hatte tiefe Linien im Gesicht.
»Weiter«, sagte Christopher. »Was sonst?«
Ihr Programm musste ja nicht perfekt werden. Sie würden es einsetzen können, sobald es mehr richtige als falsche Treffer erbrachte.
Allerdings durfte man nicht vergessen, dass Guys Videos eine ungeheure Datenmenge darstellten. Ihre Computer waren schnell, ja, aber sie würden trotzdem ganz schön keuchen, wenn das Programm die Aufnahmen von mehreren Jahren zu analysieren hatte.
Und danach würden sie sich noch die Fundstellen der Reihe nach anschauen und hoffen müssen, dass die eine dabei war, die sie suchten.
Serenity gefiel das alles nicht, das merkte Christopher. Er wusste bloß nicht, was er sagen sollte. Irgendwie war das mit ihnen beiden gerade ganz weit weg, fast unwirklich, mehr Traum als Erinnerung an etwas Reales. Woran natürlich die Situation schuld war. Die Notwendigkeit, wieder zu programmieren, und das schneller und fehlerfreier als je zuvor, hatte ihn wieder in den Christopher verwandelt, der er früher gewesen war. ComputerKid, der Probleme durch Programmieren löste, selbst diejenigen, die man lieber anders lösen sollte. Weil Programmieren nun einmal das war, was er am besten konnte.
Ab jetzt brachte Serenity jeden Tag eine Zeitung vom Einkaufen mit. Wobei die Ausgabe immer einen Tag alt war: Die Schreckensnachrichten erreichten sie also mit Verzögerung, waren schon überholt, wenn sie davon erfuhren.
Am zweiten Tag wurde der Fall der alten Frau aus Vermont wieder aufgewärmt, die an Alzheimer gelitten und sich verirrt hatte und erfroren war. Künftig, hieß es, sollte alten und verwirrten Menschen eine weiterentwickelte Version des Lifehook eingepflanzt werden, die ständig nicht nur den Aufenthaltsort, sondern auch medizinische Daten an eine zentrale Stelle übermittelte.
Am dritten Tag wurde diskutiert, Straftätern zwingend einen Lifehook zu verpassen, ehe man sie aus dem Gefängnis entließ. Einen Chip zu entfernen, würde künftig verboten sein; man werde dazu die Erlaubnis eines Gerichts benötigen.
Dafür sollten, da der Chip die Verwaltung erleichterte, Lifehook-Träger deutlich weniger Steuern zahlen.
Am vierten Tag kam ein Bericht, wonach eine erste Militäreinheit testweise komplett mit Lifehooks ausgerüstet werde. Falls sich das bewähren würde, wolle man spezielle Chips für militärische Ansprüche entwickeln. Gedacht sei auch daran, Waffen per Gedanken bedienbar zu machen, Flugzeuge auf diese Weise zu steuern und dergleichen mehr. Man habe Informationen, dass andere Länder ähnliche Versuche unternähmen; es gelte, Schritt zu halten.
Ein paar Abgeordnete sprachen sich gegen diese Maßnahmen aus, es gab Meldungen über Demonstrationen, aber derlei Widerstand schien jeweils rasch zu versanden. Weil die Upgrader diese Leute kurzerhand mit einem Chip versahen? Wahrscheinlich. Wobei es auch sein konnte, dass die Zeitung einfach nur weniger über Gegenstimmen berichtete. Schließlich saßen in allen Medien längst Upgrader, um die Nachrichten im Sinne der Kohärenz zu steuern.
Serenity setzte sich nach dieser Lektüre immer nach vorn, schaltete das Autoradio ein und hörte Musik. Christopher meinte ab und zu, sie weinen zu hören, und spürte den Impuls, sie zu trösten oder zumindest zu ihr zu gehen, aber er konnte es nicht. Das ungelöste Problem hielt ihn gebannt.
Wobei er sich allmählich selber wünschte, weinen zu können. Es wäre ein Ventil gewesen für all die Verzweiflung, die in ihm war.
Aber weinen konnte er auch nicht.
Also programmierte er weiter. Sie mussten durchhalten.
Einfach
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