Kohärenz 03 - Time*Out
darin zu durchwandern, war wie eine Reise zurück in seine Kindheit, in die Jahre, in denen noch alles in Ordnung gewesen war. Er schrieb die erforderlichen Routinen und dachte daran, wie sein Vater ihm einst BASIC beigebracht hatte. Er baute die Metastruktur auf und dachte an seinen ersten eigenen PC. Er testete und optimierte die Grundroutinen und dachte daran, wie er sich zum ersten Mal in die Weiten des Internets aufgemacht hatte. Und irgendwann war das neuronale Netz fertig und funktionierte.
Es war spät, fast schon früher Morgen. Im Wagen war es still bis auf Guys gelegentliches Schnarchen. Es kam Christopher vor, als sei die Zeit stehen geblieben und das Universum außerhalb des Wohnmobils verschwunden.
Er fühlte sich wie ein ausgewrungener Putzlappen, aber er musste das noch zu Ende bringen. Er legte eine Kopie der Suchsoftware an, die sie gemeinsam entwickelt hatten, und verband sie mit dem neuronalen Netz – alle Parameter, die eine Rolle spielten, alle Schwellenwerte und alle Entscheidungstabellen. Jenseits des dicken Vorhangs dämmerte es, als Christopher endlich den Rechner ausschaltete und nach oben zu Serenity auf die Matratze kroch, ohne sich auszuziehen. Er war weg, ehe sein Kopf das Kissen berührte.
Am nächsten Tag blieb Guy skeptisch, auch nach einem ersten Probelauf des veränderten Programms. »Bene«, knurrte er. »Zumindest funktioniert es noch. Aber ob es dazulernt ... Wie erkennt man das?«
»Nicht ohne aufwendige Vergleichstests«, sagte Christopher. »Für die wir keine Zeit haben.«
»Okay.« Guy gähnte, als sei er es gewesen, der nur zwei Stunden Schlaf gehabt hatte. »Wo fangen wir an?«
»Am achtzehnten März. Und von da aus rückwärts.«
Es begann mit einer deprimierenden Kette von falschen Alarmen. Das Programm identifizierte Gläser auf dem Regal einer Bar als Überwachungskamera, einen Ohrring, ein Buch, das jemand auf einer Hutablage vergessen hatte, ein Stück von einem Türrahmen, auf den ein seltsamer Schatten fiel, eine Kachel in einer Toilette. Guy sagte nichts und Christopher sagte auch nichts. Stattdessen klickte er immer nur auf Falsch.
Dann, endlich, ein Bild, auf dem wirklich eine Kamera zu sehen war. Sie stand an einer Verkehrskreuzung. Richtig, klickte Christopher.
Danach arbeitete das Programm eine Weile, ohne einen Treffer zu melden. Sie starrten gebannt auf die Zeitanzeige und wie sie weiter und weiter in die Vergangenheit ging. Das Suchprogramm war so eingestellt, dass es mindestens Sprünge von fünf Minuten machte. Es erkannte auch, ob sich ein Bild verglichen mit dem vorigen wesentlich verändert hatte; falls nicht, suchte es nicht noch einmal nach dem Anblick eines Kameraobjektivs.
Die nächste Fundstelle war wieder eine echte Überwachungskamera, diesmal in einem Kaufhaus.
»Da hab ich mir das Jackett gekauft«, sagte Guy leise und mit einem Nicken in die Richtung seiner Klamotten.
Doch. Man merkte, wie das Programm treffsicherer wurde. Ab und zu hielt es immer noch völlig abstruse Dinge für Kameras – eine Blumenvase, die Grifflöcher von Aktenordnern, Ansichtskarten, auf denen große Blumen abgebildet waren, Teile von Graffitis in Unterführungen und dergleichen –, aber es durchwanderte auch ganze Tage und Wochen, ohne sich zu melden.
»In der Zeit war ich zu Hause, mit einer Erkältung im Bett«, erklärte Guy. »Würde mich beunruhigen, wenn es dort eine Kamera entdeckt.«
Dann wieder fand das Programm auf einmal eine Kamera nach der anderen, in Abständen von teilweise weniger als zehn Minuten.
»Das ist in London«, sagte Guy.
Christopher nickte. »Macht Sinn«, sagte er. »Großbritannien hat die höchste Dichte an Überwachungssystemen auf der ganzen Welt. Und London hat die höchste Dichte an Überwachungssystemen von ganz Großbritannien.«
Guy starrte auf den Bildschirm. »Irre, das mal so vor Augen geführt zu bekommen ...«
»Bist du öfters in London?«, fragte Serenity.
»Ab und zu. Ganoven gibt es überall.« Guy grinste. »Und die schlauesten von denen sind meine Kunden.«
Die Suche zog sich. Zwar wurde das Programm immer treffsicherer, aber es war trotzdem noch nötig, sich die jeweiligen Szenen genau anzuschauen, auf den Hintergrund zu achten und sich zu überlegen, wo eine Information verborgen sein könnte, die für die Kohärenz von Bedeutung war. Jedes Mal, wenn Christopher auf den Button weitersuchen klickte, tat er es in der Angst, zu früh aufgehört und das, was sie suchten, verpasst zu
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