Kohärenz 03 - Time*Out
Serenity, wie sie zusammen mit dem PentaByte-Man auf dem Boden lag, beide nackt und ...
Die Erinnerung durchfuhr Christopher wie ein Blitz, brannte wie Feuer. Dabei war es doch nur ein Traum gewesen! Träume hatten nichts zu bedeuten!
Und wenn doch? Wenn seine Großmutter für Geborgenheit stand? Die Gemälde für die Kohärenz? Was, wenn sich in diesem Traum eine Ahnung manifestierte, die es noch nicht in sein Wachbewusstsein geschafft hatte, nämlich, dass er erst in der Kohärenz Geborgenheit finden würde?
Quatsch, sagte er sich. Völliger Blödsinn. Höchste Zeit, dass er aufstand und sich auf andere Gedanken brachte. Auf nützlichere vor allem.
Er stieg leise hinunter, schaltete den Computer ein, stellte den Ton ab und schaute sich die Szene von gestern Abend noch einmal Bild für Bild an. Zoomte auf jeden einzelnen Bildschirm, ließ auf sich wirken, was er sah.
Nein, wie man es auch drehte und wendete: Das kurze Programm – die CORE DISTRIBUTION LOOP – war die einzige Information von Bedeutung, die sich aus dem sekundenlangen Blick in diesen Raum gewinnen ließ. Alles andere war zufällig, unverständlich, wertlos.
Er rief die Textdatei auf, in die er das Programm, ausgehend von dem einen Videoframe, auf dem es scharf zu sehen war, Buchstabe für Buchstabe abgeschrieben hatte. Er verglich es noch einmal, aber ihm war tatsächlich kein Fehler unterlaufen.
Okay. Angenommen, das war das Programm, das die Kohärenz mit allen Mitteln hatte geheim halten wollen: Um was handelte es sich dabei? Was tat diese Routine?
Dem Header zufolge war sie in einem C-Dialekt geschrieben, den man für die Optimierung von zeitkritischen Prozessen verwendete. Auch dem Programm sah man an, dass es auf höchste Geschwindigkeit getrimmt war. Wie das Wort DISTRIBUTION im Titel schon andeutete, verteilte es irgendwelche Daten, die hereinkamen, in irgendwelche Kanäle. Dabei griff es auf eine Datenbanktabelle zu, um zu bestimmen, in welche. Ja, und dann das Ganze wieder von vorn. Deswegen LOOP: Die gesamte Routine lief in einer Endlosschleife.
Okay. Ein nicht unelegantes Programm. Erfreulich kompakt. Die Sache mit dem Datenbankzugriff sah ein bisschen seltsam aus, darüber musste er noch nachdenken ... Aber abgesehen davon: Was um alles in der Welt mochte der Grund sein, dass die Kohärenz dafür eine derart dramatische Jagd auf die Videos des PentaByte-Man begonnen hatte? Was war an diesem Programm so brisant?
Er verstand es beim besten Willen nicht. Hatte die Kohärenz die Gefahr, die ihr davon drohen konnte, am Ende schlicht und einfach überschätzt? Hatte sie sich mit ihrer überdimensionalen Intelligenz selber ausgetrickst?
Nicht undenkbar. Christopher musste an George Angry Snake denken und an das, was ihm der junge Indianer, der danach sein Freund werden sollte, zu dem Thema gesagt hatte. Intelligenz war eine zweischneidige Sache.
Allerdings wäre das ein trauriger Witz gewesen. Das hätte geheißen, dass die Kohärenz mordete und log, nur um einen verloren gegangenen Tresorschlüssel wiederzufinden, den ohnehin niemand als solchen erkennen, geschweige denn einsetzen konnte!
Falls dem so war, hatten sie sich ganz umsonst abgemüht.
Christopher starrte das Programm an. Okay, sie wussten nicht, ob das tatsächlich die Information war, die die Kohärenz fürchtete. Möglich, dass sie etwas anderes, viel Brisanteres fanden, wenn sie weitersuchten. Auf der anderen Seite – wenn man bedachte, was sie da gefunden hatten ... Ein als streng vertraulich gekennzeichneter Sourcecode. Guy war eindeutig identifizierbar, dank der auf die Tür gerichteten Kamera. In einem Raum, in dem offenbar an der Software gearbeitet worden war, die so etwas wie das Betriebssystem der Kohärenz darstellte.
Wie wahrscheinlich war es, dass Giuseppe Forti ein zweites Mal in eine Kombination solcher Zufälle geraten war?
Klar, sie konnten weitersuchen. Bis ans Ende ihrer Tage konnten sie suchen, genug Daten waren da. Aber würden sie sich jemals sicherer sein als jetzt?
Ein anderer Gedanke kam Christopher. Einer, der ihm gestern noch nicht eingefallen war. Die Frage nämlich, wieso er eigentlich nichts von diesen Programmen wusste! Er war einmal Teil der Kohärenz gewesen – okay, so gut wie. Auf jeden Fall war er tief genug drin gewesen, um alles zu wissen, was die Kohärenz wusste. Er hatte das Wissen der anderen natürlich in dem Moment verloren, in dem er sich ausgeklinkt hatte ... aber er erinnerte sich noch, dass er einmal vieles gewusst
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