Kohärenz 03 - Time*Out
Spritze brachte ihn der Ohnmacht nahe, und bei der Vorstellung, sich freiwillig irgendetwas einpflanzen zu lassen, wurde ihm regelrecht schlecht.
Nie im Leben, sagte er sich.
Und außerdem war das Quatsch. Eine Mode, die in vier Wochen wieder vorbei sein würde. Kannte man doch.
22
Dick Poldo war überrascht, wie viele seiner Stammleser Kinder im schulpflichtigen Alter hatten. Bisher war er davon ausgegangen, dass hauptsächlich Informatikstudenten und Computerfreaks seine Kolumne lasen. Doch seit der Artikel in den frühen Morgenstunden online gestellt worden war, waren Hunderte von Mails bei ihm eingetrudelt, die meisten von besorgten Eltern, die ihm zustimmten. Ein Lehrerverband bat um seine Unterstützung für eine Initiative, die Anschaffung von Mobilfunk-Störgeräten für Schulen zur verbindlichen Vorschrift zu machen. Etliche Leute dankten ihm für seine Hinweise und schrieben, sie hätten ihre Aktien von Telefonfirmen umgehend verkauft. Und mehrere Schönheitschirurgen hatten sich bei ihm gemeldet, um sich gegen seine »Unterstellungen« zu verwahren und ihm rechtliche Schritte anzudrohen. Wobei es Dick Poldo schleierhaft blieb, was diese Chirurgen konkret zu beanstanden hatten.
Draußen wurde es schon dunkel. Die Skyline von New York verschmolz allmählich mit der Dämmerung. Nie sah die Stadt so magisch aus wie in dem Zwielicht dieser Minuten.
Es klingelte an seiner Wohnungstür. Das war ungewöhnlich. Dick Poldo erwartete niemanden. In dem Fall, dass ihn jemand unangemeldet besuchen wollte, würde der Portier vorher anrufen.
Es musste also jemand aus dem Haus sein. Was zwar noch nie vorgekommen, aber im Prinzip denkbar war; schließlich wohnten mehrere Dutzend Parteien in diesem Gebäude. Wobei Dick Poldo mit keinem seiner Mitbewohner je ein Wort gewechselt hatte.
Er spähte durch den Türspion. Eine Frau stand vor seiner Tür, eskortiert von zwei stämmigen Männern in grauen Overalls.
Es sah irgendwie amtlich aus, also öffnete er.
»Guten Abend, Mr Poldo«, sagte die Frau. »Ich bin Jennifer Brown von der Hausverwaltung. Entschuldigen Sie bitte die Störung. Es hat in der Wohnung unter Ihnen ein kleines Malheur mit Gas gegeben und wir würden gerne überprüfen, ob etwas von dem Gas bis in Ihre Wohnung gedrungen ist. Sicherheitshalber.«
»Gas?«, echote Dick Poldo verschreckt
»Gas«, bestätigten die beiden Männer wie aus einem Mund.
»Okay. Kommen Sie rein«, sagte der Journalist und öffnete bereitwillig die Tür. Er wusste von Fernsehbildern, wie Gebäude nach Gasexplosionen aussahen – wie Ruinen nämlich –, und er hatte keine Lust, so zu enden.
Die Frau und der Mann, der einen kleinen Koffer trug, marschierten an ihm vorbei. Der andere Mann ließ ihm höflich den Vortritt.
Als Dick Poldo ins Wohnzimmer kam, hatte der erste Mann seinen Koffer bereits auf die Küchentheke gelegt und geöffnet. Sein Benehmen wirkte unangenehm besitzergreifend.
Dick fiel etwas ein. »Sagen Sie«, meinte er, »steht die Wohnung unter mir denn nicht leer?«
Die beiden Männer und die Frau drehten sich mit merkwürdig synchronen Bewegungen zu ihm herum und sahen ihn an. Erst jetzt wurde Dick Poldo klar, dass sie ihn umzingelt hatten.
»Schreien Sie nicht«, sagten die drei im Chor, in einem gruseligen Gleichklang ihrer Stimmen, »und wehren Sie sich nicht. Wir müssen Sie einem kleinen Eingriff unterziehen, aber Sie werden bald feststellen, dass es zu Ihrem Besten ist.«
Fünf Tage später erschien wieder eine Kolumne von Richard »Dick« Poldo zum Thema Lifehook.
Sie begann mit den Worten: Journalisten können dazulernen. Auch Kritiker sind imstande, ihre Meinung noch einmal zu überdenken und an neue Einsichten anzupassen. Denn manchmal – wenn man mit wahrhaft weltbewegenden Innovationen konfrontiert ist – braucht man eine Weile, bis man erkannt hat, dass man es mit nicht mehr und nicht weniger als einer Zeitenwende zu tun hat. Und der Lifehook, liebe Leser, steht mehr als jede andere Erfindung der letzten Jahrzehnte für eine solche Zeitenwende...
23
In den Tagen nach der Vorstellung des Lifehook setzte ein Kommen und Gehen ein, als sei Hide-Out ein Bienenstock. In jeder blinden Zeit schwärmten Autos aus, kamen andere zurück, doch Serenity erfuhr nicht, was eigentlich los war.
»Ich nehme an, sie sammeln Informationen«, meinte Christopher, als sie ihn fragte. »Wie die Presse auf die Neuigkeit reagiert, die Öffentlichkeit und so weiter.« Er zog die Augenbrauen zusammen. »Mir
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