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Kohärenz 03 - Time*Out

Titel: Kohärenz 03 - Time*Out Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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festhielt, aus denen er später, mit mehr Ruhe, den Text seiner Kolumne destillieren würde.
    Für Dick Poldo war es ein einträgliches Geschäft geworden, die diversen Überspanntheiten der Computerindustrie zu kritisieren. Seine scharfzüngigen Glossen hatten ihm zu einer Wohnung in New York mit einem grandiosen Blick auf den Central Park verholfen und dazu, dass er sich seit Jahren kein einziges elektronisches Gerät mehr selber hatte kaufen müssen, weil ihm alle Hersteller ihre neuesten Modelle geradezu aufdrängten, um anschließend vor seinem Urteil zu zittern.
    Keine Frage, dass er sich zum Thema Lifehook äußern musste, und zwar umgehend. Das erwarteten seine Leser von ihm.
    Und eigentlich war es eine Frechheit von FriendWeb, ihn nicht vorab über ihr Projekt informiert zu haben. Allein dafür gehörte es sich, dass er ihnen gehörig an den Karren fuhr.
    Das war schon die erste Frage, die man stellen musste: Was zum Teufel sollte das für ein Geschäftsmodell werden? Das Einführungsangebot mal außer Acht gelassen: Diese neunundvierzig Dollar, die ein Lifehook-Chip regulär kosten sollte, waren im Endeffekt eine Telefon-Flatrate auf Lebenszeit, oder? Schöne Sache für die User, aber wie sollte sich das rechnen? Womit wollte FriendWeb in ein oder zwei Jahren, wenn jeder, der einen Lifehook wollte, einen hatte, noch Geld verdienen? Gut, sie konnten versuchen, irgendwelche kostenpflichtigen Zusatzdienste anzubieten, aber die Frage war erstens, welche, und zweitens, ob jemand bereit sein würde, viel Geld dafür auszugeben. Immerhin zielte der Lifehook in erster Linie auf Jugendliche, die bekanntlich chronisch knapp bei Kasse waren.
    Ging es bei der Aktion womöglich schlicht darum, schnell Geld in die Kassen von FriendWeb zu spülen? Es kursierten Gerüchte, dass die Bilanzen des riesigen sozialen Netzwerks, dem man kostenfrei beitreten konnte, gar nicht stimmten. Angeblich brachte die Werbung im Internet bei Weitem nicht so viel ein, wie Salzman behauptete, und es hieß, seine Firma verfeuere in Wirklichkeit das Geld unbekannter Investoren.
    So oder so –, das Ganze würde nicht ohne Folgen für den Rest des Marktes bleiben. Wie sollten andere Telefonfirmen mit dem Angebot von FriendWeb konkurrieren? Der Lifehook würde den gesamten Markt für Telekommunikation umkrempeln ...
    Das Telefon summte und flötete dann den Namen des Anrufers: »Jill Withers, Advanced Investor Magazine.«
    Dick Poldo nahm ab. »Jill?«
    »Hast du die Keynote von Salzman gesehen?«, hörte er die helle, wie immer aufgeregt klingende Stimme seiner liebsten Herausgeberin. »Lifehook?«
    »Klar«, sagte Poldo.
    »Kannst du darüber was schreiben?«
    »Bin schon dran, Schätzchen.«
    Sie seufzte erleichtert. Entzückend, dass sie nach all den Jahren immer noch das Gefühl zu haben schien, ihn zu Beiträgen ermutigen zu müssen.
    »Meinst du«, fragte sie, »du kannst bis Mittemacht was fertig haben? Dann würde ich das noch in die morgige Printausgabe setzen.«
    »Machst du Witze?«, gab er zurück. »Um Mitternacht gedenke ich, längst in tiefem Schönheitsschlaf zu liegen. Du hast den Artikel spätestens um elf in deiner Mailbox.«
    »Du bist ein Schatz«, flötete sie. Schade, dass sie das rein beruflich meinte.
    Er legte das Telefon beiseite und wandte sich wieder seinen Notizen zu. Zeichnete sich ein neuer Trend ab? Jahrelange Indoktrination über entsprechende Fernsehsendungen hatte dafür gesorgt, dass Jugendliche Schönheitsoperationen für etwas ganz Normales hielten. Derzeit sorgte ein Prozess für Aufsehen, in dem geklärt werden sollte, ob Mädchen ein Recht darauf hatten, von ihren Eltern eine Brustvergrößerung bezahlt zu bekommen. Wurden nun funktionale Erweiterungen des Körpers ein neuer Markt? Man durfte gespannt sein.
    Und schließlich: Der Lifehook-Chip sollte das Telefonieren per Gedanken ermöglichen, und zwar ohne dass man von außen etwas davon mitbekam. Wenn man dabei an Jugendliche dachte, dann war das geradezu eine Einladung, bei Prüfungen zu betrügen. Ja, im Endeffekt würden Schüler ohne Lifehook benachteiligt sein und sich genötigt fühlen, ebenfalls einen Chip implantieren zu lassen. Dass FriendWeb den Lifehook kurz vor den diesjährigen Abschlussprüfungen auf den Markt brachte, war ein deutlicher Hinweis darauf, dass man auf genau diesen Effekt spekulierte.
    Dick Poldo betrachtete seine Notizen und schüttelte fassungslos den Kopf. Je länger er über diese ganze Geschichte nachdachte, desto

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