Kohl des Zorns
betrunken« bezeichnet hätte. Er wanderte durch die Ealing Road davon, die Hände in den Taschen, eine Selbstgedrehte zwischen den Lippen. Vor dem Laden von Bob dem Buchmacher blieb er einen Augenblick unentschlossen stehen, während er überlegte, wie er sich am besten rächen sollte. Doch das würde warten müssen. Bobs Sicherheitsmaßnahmen hätten Fort Knox alle Ehre gemacht, und Jim befand sich nicht im Besitz der notwendigen militärischen Ausrüstung, um den Laden zu stürmen. »Du kriegst dein Fett noch weg«, schleuderte er der eisengepanzerten Tür des Eingangs entgegen. Und fuhr aus reiner Bosheit mit der Klinge seines Taschenmessers über die Seite von Bobs am Straßenrand geparkten Rolls Royce, um anschließend sein Kunstwerk schwungvoll mit den Initialen J. P. zu verzieren.
Auf halbem Weg zur Albany Road kam ihm der Gedanke, zur Polizeiwache zu gehen und von dem Attentatsversuch des abgerissenen Burschen zu erzählen. Schließlich war versuchter Mord eine Straftat und so weiter.
Auf der anderen Seite brachten seine neuerlichen Erfahrungen mit dem Gesetz, insbesondere desjenigen Teils, der durch einen gewissen Inspektor Hovis verkörpert wurde, ihn dazu, diesen Gedanken als völlig blödsinnig abzutun. Außerdem hatte der Professor gesagt, daß er es nicht gern sähe, wenn die Polizei sich in seine Pläne einmischte.
Jim schlug den Weg in Richtung der Schrebergartenkolonie ein.
Er war seit Wochen nicht mehr auf seiner Parzelle gewesen, und das Grundstück befand sich in einem traurigen Zustand. Der Rhabarber war geschossen, und seine wuchernden Ausläufer hatten sich in Richtung des Kartoffelbeets ausgebreitet. Die Bohnen waren überreif und warteten darauf, abgeerntet zu werden.
Jim entriegelte die Tür seiner Laube und nahm einen tiefen Atemzug. Er genoß das unverwechselbare Aroma, das charakteristisch ist für das Innere aller Schrebergartenhütten dieser Welt. Er nahm einen Klappstuhl zweifelhaften Ursprungs, hantierte mit den rostigen Federn und stellte das Ding schließlich vor seinen Eingang.
Dann suchte er eine Flasche aus seinem Privatversteck, nahm in dem Stuhl Platz und entkorkte den Tropfen. Ein oder zwei Schlucke verrieten ihm, daß es sich um Kohlwein handelte, eine von Normans Spezialitäten. Es war kein ausgesprochen hervorragender Jahrgang, doch in Jims gegenwärtigem Zustand durchaus als akzeptabel zu bezeichnen. Er pickte ein Stück Strunk aus einer Zahnlücke und nahm einen weiteren, größeren Schluck.
Fast im gleichen Augenblick wanderten seine Gedanken zu der Behaglichkeit des alten Leichters zurück, der bis vor so kurzer Zeit das Hauptquartier der P & O gewesen war. Das alles schien schon so lange her zu sein. Eine andere Welt.
Jim fing auf eine Weise an zu sinnieren, wie es nur Betrunkene können. Er war noch nicht soweit, daß er sich ein Leben ohne John vorstellen konnte. Die Zukunft erschien ihm leer und trostlos. Selbst wenn es ihm gelingen sollte, diese ganze verdammte Geschichte zu überstehen und die zehn Millionen Mäuse zu kassieren, sah die Zukunft alles andere als rosig aus.
In ihm war ein Schmerz, der einfach nicht gehen wollte. Es war der gleiche Schmerz, den er beim Tod seines Vaters verspürt hatte. Doch damals war Omally zur Stelle gewesen, um ihn zu trösten und ihm über seinen Verlust hinwegzuhelfen. Sie waren gemeinsam zu dem Beerdigungsunternehmen gegangen, wo der alte Mann aufgebahrt lag, um ihm ihr Lebewohl zu entbieten. Jim hatte ihm ein Päckchen Zigaretten in die Tasche gesteckt, um die Reise angenehmer zu machen, und John hatte die Hand des Toten geschüttelt, bevor die beiden Freunde zu einem Gelage aufgebrochen waren, das eine ganze Woche gedauert hatte. Gemeinsam hatten sie die Gläser gehoben und sich zugeprostet, viele Trinksprüche ausgebracht und ihren Kummer ertränkt. Der Schmerz war nach und nach vergangen, und nichts als die tröstende Wärme der Erinnerungen war geblieben.
Doch jetzt war Jim ganz allein, und er seufzte voller Trauer. Nicht einmal ein Leichnam war da, über dem er weinen konnte, oder ein Grab, auf das er hätte Blumen legen können.
Er kann einfach nicht tot sein, sagte sich Jim immer und immer wieder. Er kann nicht tot sein. Ich lasse das nicht zu.
»Du mußt von ihm lassen«, hatte der Professor zu Jim gesagt. »Eine Seele findet erst dann ihren Frieden, wenn die Hinterbliebenen sie freigelassen haben. Du mußt John gehenlassen.«
»Niemals!« Jim schwankte mächtig vom Inhalt der staubigen Flasche. »Nicht,
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