Kohl des Zorns
du nicht?«
Neville vergaß, Pooleys Pint fertigzuzapfen. »Bei allen Göttern!« entfuhr es ihm. »Meinst du wirklich?«
»Selbstverständlich. Du hast keinen Ersatz bekommen, seit Croughton verschwunden ist.«
»Verschwunden?« widersprach Neville. »Der Bursche verdient achtzehn Monate! Der Kerl hatte die Hand bis zum Ellbogen in meiner Kasse!«
»Sollte mich nicht wundern, wenn der junge selbstherrliche Master Bob eine oder zwei von seinen Freundinnen in dem neuen Laden unterbringen will«, sagte Omally.
Nevilles Gesicht verzog sich zu einer Fratze des Entsetzens, und die Augen drohten ihm aus den Höhlen zu quellen. Er war zwar von Natur aus kein Weiberhasser, doch er war überzeugt, daß auf der ganzen Welt keine Frau lebte, die ein richtiges Bier zapfen konnte.
»Ich an deiner Stelle würde mir jetzt rasch einen Ersatz suchen«, sagte Omally. »Nur um sicherzugehen, wenn du verstehst.«
»Ja … ja.« Neville zerrte am Zapfhahn, und Jims Glas füllte sich mit weißem Schaum. »Ja, das muß ich.«
»Irgend jemand aus der Gegend muß sich doch in dem Geschäft auskennen«, fuhr Omally fort. »Irgend jemand, der ganz bestimmt gutes Bier zu schätzen weiß, jemand, der die Gepflogenheiten kennt und in der Lage ist, den hohen Standard dieser Gaststätte zu halten. Jemand, der vertrauenswürdig ist, jemand, der …«
»Du denkst nicht rein zufällig an dich selbst, John Omally?«
»Ich? Ich?« Omally hob abwehrend die Hände. »Ich? Ich habe noch nie …«
Neville starrte Omally entschlossen in die Augen. Die beiden Männer sahen sich schweigend an. Entlang der Theke wurden murrende Rufe laut, und unzufriedene Gäste klopften mit leeren Pintgläsern auf den Tresen und äußerten Zweifel an Nevilles Fähigkeiten als Wirt.
»Ich zahle lediglich einen Grundlohn«, sagte Neville. »Falls der Bewerber damit einverstanden ist und ich den Bewerber als geeignet für den Posten einschätze, schön und gut. Falls sich meine Wahl jedoch als Irrtum herausstellt und der Bewerber mich bestiehlt, dann werde ich vor Gericht gegen ihn vorgehen.«
»Ich suche eine ehrliche Arbeit«, antwortete John. »Die Gründe dafür sind meine eigene Angelegenheit. Ich gebe dir mein Ehrenwort, daß ich dich nicht bestehlen werde. Ich kann morgen anfangen.«
»In Ordnung«, sagte Neville. »Dann bist du also eingestellt. Enttäusche mich nicht, John, wir kennen uns schon ziemlich lange.«
»Ich werde dich nicht enttäuschen«, sagte Omally. »Laß uns diese beiden Pints als Besiegelung des Vertrags betrachten. Ich danke dir.«
»Nein«, widersprach Neville. »Wir betrachten diese beiden Pints als praktische Illustration einer altbekannten Maxime, die du schon bald kennen und lieben lernen wirst, wenn du erst für mich arbeitest. Nämlich daß man vom Leben nur zurückkriegt, was man hineingesteckt hat. Los, raus mit der Kohle.«
Omally rückte raus. Der Mob rückte heran.
»Du warst lange weg«, beobachtete Pooley, als John mit den Pints zurück war. »Der Service ist auch nicht mehr das, was er mal war.«
»Nein«, gab Omally ihm recht. »Aber das wird sich ändern. Ich arbeite jetzt hier.«
Kapitel 22
Die Tage reihten sich zur Woche, und die Arbeit an den fünf Olympischen Pylonen ging zügig und ohne Unterbrechung vonstatten. Die eleganten Chrom- und Glassäulen der »Stadionbeine«, jede gut vierzig Fuß im Durchmesser, stiegen Stunde um Stunde höher in den Himmel. Am Ende ragten sie fünfhundert Fuß über Brentford hinaus, und die Spitzen verloren sich zu schlanken Nadeln. Die Konstruktion der fünf Pylonen war an sich bereits ein Wunder der Ingenieurskunst, und doch war es nichts verglichen mit dem, was noch kommen sollte.
Am frühen Abend des zweiten Mittwochs erschien das erste Luftschiff im dunkler werdenden Himmel. Das sanft brummende Ungetüm kam aus der Richtung der untergehenden Sonne, eine abgeflachte Scheibe, von zahlreichen Lichtern angeleuchtet, und schleppte das erste Segment des gewaltigen Brentforder Olympiastadions hinter sich her. Neugierige versammelten sich in den Straßen und starrten auf das Schauspiel, und Oooooohhs! und Aaaaaaahs! breiteten sich aus wie bei einem spektakulären Feuerwerk.
Der Alte Pete blieb auf dem Gehweg stehen und spähte mißmutig durch einen ehemaligen Armeefeldstecher. »Das nimmt ein schlimmes Ende«, vertraute er seinem jungen Hund Chips an. Der hündische Begleiter grinste seinem Meister zu, hob das Bein an Marchants Vorderrad und beeilte sich, dem Alten Pete in den
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