Kohl des Zorns
eine Forschungseinrichtung noch eine gemeinnützige Institution, sie war keine Handelsgesellschaft irgendeiner Art, sie war in keinerlei Verzeichnis eingetragen, weder öffentlich noch privat. Sie besaß ein Bankkonto, und das war alles. John war in eine Sackgasse gerannt.
Er drehte sein Setzholz im Boden. Jeder mit ein wenig Phantasie hätte alles herausfinden können, was er bisher herausgefunden hatte, nämlich so gut wie nichts.
Fast war er bereit, das Handtuch zu werfen, als ihm plötzlich ein Gedanke kam. Es war ein angenehmer Gedanke und so voller erfreulicher Möglichkeiten, daß er sich selbst mental in den Hintern trat, weil er nicht schon früher darauf gekommen war.
Mit einem wilden Schrei der Begeisterung auf den Lippen sprang er hoch, was bei den benachbarten Schrebergärtnern erhobene Augenbrauen und mißbilligendes Stirnrunzeln hervorrief. Er stieg auf seinen getreuen Marchant und radelte in großer Eile davon.
Er kam bei Alison’s Floralen Kinkerlitzchen an, als die hochgewachsene junge Frau gerade für den Abend schließen wollte, und beschwatzte sie so lange, bis sie ihm noch einen bunten Strauß Tageslilien überließ. Kurz nach sieben, mittlerweile im Marmorbad des Professors gebadet und in eine Wolke sauberer Düfte gehüllt, in Pooleys bestem Anzug und glattrasiert wie ein Babypopo, machte er sich einmal mehr auf den Weg und steuerte Marchant durch eine Serie von Rechtskurven in Richtung Jennifer Naylors Haus.
Während John vor sich hinradelte, summte er eine leise und beschwingte Melodie, voll von Pathos über die harten Zeiten im alten Irland. John hatte die harten Zeiten niemals selbst erlebt. Er war in Dublin geboren und in Brentford aufgewachsen, doch das spielte überhaupt keine Rolle. Wenn nämlich die Seele des Galen zum Singen gerührt ist, dann ist das Lied ganz zwangsläufig ein Klagegesang, schwer von Gefühl und Erinnerungen an die tragische Geschichte der Grünen Insel und die bittersüßen Zeiten, die einst dort geherrscht hatten. Sozusagen. ›Die Nacht, in der O’Raffertys Hausschwein davonrannte‹, war das Lied auf John Vincent Omallys Lippen. Er bog nach rechts in die Aiwass Avenue ein und warf unvermittelt den Anker.
Marchant geriet heftig ins Rutschen. Lilien purzelten aus der Satteltasche. Leise murmelnd, zerrte John seinen Gefährten hinter einem geparkten Wagen in Deckung und sammelte hastig die heruntergefallenen Blumen wieder ein, bevor auch er außer Sicht verschwand.
Vor Jennifers Doppelhaushälfte stand eine große schwarze Limousine fortschrittlichen Designs und unbestimmter Herkunft. Die gleiche Limousine, die das tödliche Paket bei Johns Vermieterin abgeliefert hatte.
Was hatte das nun wieder zu bedeuten?
Omallys Gehirn überschlug sich. Stand Jennifer auch auf der Liste dieser Burschen, und wenn ja, warum? Falls die Limousine der Kaleton-Organisation gehörte, falls die Kaleton-Organisation die Spiele veranstaltete und falls und wenn und überhaupt …
In diesem Augenblick tauchte der livrierte Zwerg in Jennifers Eingang auf und kehrte in seine lange schwarze Limousine zurück. John biß sich auf die Knöchel. Jetzt war der richtige Zeitpunkt, um das Geheimnis des mysteriösen Mister X zu lösen, doch wie sollte er es anstellen? Falls Jennifer ein Paket erhalten hatte, mußte John sie unbedingt warnen.
Omally zögerte. Die Limousine setzte sich in Bewegung und fuhr langsam davon. Denk nach, Mann! Denk!
Doch die Entscheidung wurde ihm abgenommen, als Jennifers Garagentor aufglitt und der Porsche auf die Straße hinaus- und hinter der sich entfernenden schwarzen Limousine herfuhr.
»Also schön«, sagte John, und ganz in der Art des alten, legendären »Die Würfel sind gefallen« stieg er auf Marchant und machte sich an die Verfolgung. Der schiere Unsinn der Idee, einen Porsche mit einem alten heruntergekommenen Fahrrad einholen zu wollen, wurde ihm nicht eine Sekunde lang bewußt. John trat in die Pedale und radelte, was das Zeug hielt.
Am Ende der Aiwass Avenue bog Jennifer nach rechts ab. John folgte ihr. Er sah die lange schwarze Limousine in mittlerer Entfernung nach links in Richtung des Fußballfeldes abbiegen und murmelte beschwörende, honigsüße Worte zu Marchant. Das Versprechen eines neuen Rücklichts und einer neuen Luftpumpe wurde abgegeben. Das Fahrrad war’s allem Anschein nach zufrieden, denn als der Porsche ebenfalls nach links abbog, gestattete es John ohne jedes Murren, ihm zu folgen. Als Geste der Mißbilligung ließ es
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