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Kohl, Walter

Kohl, Walter

Titel: Kohl, Walter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leben oder gelebt werden
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nicht einmal gegen terroristische Verbrecher ausgetauscht würde, dann kann
das eigene Leben doch wohl nicht besonders wertvoll und wichtig sein.
 
Einstecken und austeilen
     
Das Leben verrät uns nicht, warum es uns immer wieder aufrichtet,
wenn wir am Boden liegen und am liebsten einfach liegen bleiben würden. Damit
wir irgendwann selbst in der Lage sind, uns aus eigener Kraft aufzurappeln? Du musst stehen.
    Nein, ich
war keinesfalls so weit, als dass ich dem hohen väterlichen Rat hätte folgen
können - oder wollen. Noch nicht. Ich sah das als seine pädagogische
Regierungserklärung und mich selbst in der Opposition. Eine Art Wende in meinem
Leben erfolgte gleichwohl, und zwar deshalb, weil sich die Sicherheitslage seit
1978 doch spürbar entspannte. Neben dem Fiasko, das die RAF im »Deutschen
Herbst« erlitten hatte, taten ein erhöhter Fahndungsdruck, der Verlust der
Identifikationsfiguren durch die Selbstmorde von Stammheim und die zunehmende
Isolation der Untergrundkämpfer in ihrem eigenen Milieu ein Übriges. Mein
persönliches Dasein hing an den Fäden des politischen Wirkens meines Vaters,
doch jetzt wurde mir wenigstens wieder etwas Leine gelassen. In der Folge wurde
der Personenschutz für mich schrittweise abgeschafft. Es wurde höchste Zeit.
    Ich war
noch in einem Alter, in dem man schnell vergisst und die ungelösten Probleme
gern auf morgen vertagt, wenn es nur irgend geht. Pragmatismus muss man da
nicht erst lernen, man wendet ihn instinktiv an. Auch ohne das tiefere Problem
gelöst zu haben, löste sich die Belastung zumindest teilweise wieder auf.
    Die
Vergangenheit hatte gleichwohl Spuren hinterlassen. Meine schulischen
Leistungen waren schlechter geworden. So bekam ich zu Hause jetzt zwar Druck in
dieser Richtung, doch das focht mich nicht an. »Druck« kannte ich zur Genüge,
und ich empfand Schule sowieso nur als leidiges Übel. Zur unerwarteten Hilfe
wurde jedoch meine körperliche Entwicklung - ich wuchs beträchtlich: innerhalb
von zwei Jahren mehr als 35 Zentimeter. In der achten Klasse hatte ich noch zu
den Kleinen gehört, als ich in die Oberstufe kam, zählte ich zu den körperlich
Stärksten in meinem Jahrgang. Das hatte eine ungemein positive Auswirkung auf
meine Lebensqualität. Mich »fasste keiner mehr an«, wie man unter Schülern so
sagte. Den Knüppel hatte ich noch geraume Zeit in der Schultasche, seine
Anwesenheit gab mir Sicherheit, doch ich benutzte ihn nie. Irgendwann legte
ich ihn dann ganz weg.
    Im Jahre
1978, als sich um mich herum die Großwetterlage aufhellte, schien auch in
meinen Alltag wieder die Sonne hinein. Meine jugendlichen Lebenskräfte
antworteten freudig darauf. Wir schienen wieder zueinander zu passen, das Leben
und ich. Dankbar nahm ich die Steilvorlage an. Nur um meinen theoretischen
Gedankengang zu vollenden, nehme ich hier kurz vorweg, dass dies später, zwei
bis drei Lebenskrisen weiter, für mich überhaupt nicht mehr klappte. Sich
wieder aufzurichten und zu »stehen«, ist für mich, je älter ich werde, weniger
Gabe des Lebens als Lebensaufgabe. Ob mein Vater dies ahnte, als er es mir ins
Stammbuch schrieb?
    Meine
Erfahrung hatte mich gelehrt: Wer keine Angst vor Gewalt und Schlägen hat,
erfährt auch weniger Gewalt und weniger Schläge als einer, welcher der Gefahr
zögernd und unsicher begegnet. Oder, noch banaler: Wer selbst oft genug im
Schwitzkasten war, wer oft genug buchstäblich mit dem Rücken zur Wand mehreren
Angreifern gegenüberstand, der hat mit der richtigen Einstellung auch eine
größere Chance, seine Angst zu überwinden und jenes Selbstbewusstsein zu demonstrieren,
das anderen die Lust nimmt, ihr Mütchen gerade an ihm zu kühlen. Am Ende
meiner Schulzeit war dann ich es, der, wenn es die Situation erforderte,
schnell und hart zuschlug.
    So
arbeitete ich mich langsam, aber sicher, aus der Position des Außenseiters
heraus. Es war zwar das dünne Eis furchtsamen Respekts, der mir von
Gleichaltrigen entgegengebracht wurde, auf dem ich noch stand, aber immerhin hatte
ich jetzt meinen Stand gefunden, und es konnte weitergehen. Nach der oben
beschriebenen Gesetzmäßigkeit könnte man in Abwandlung eines bekannten
Sprichworts auch hinzufügen: »Ein Glück kommt selten allein.« Doch bevor ich
davon erzähle, möchte ich ein kurzes, aber wichtiges Ereignis aus demselben
Jahr erwähnen.
    1978 fand
in der Ludwigshafener Friedrich-Ebert-Halle, nur ein paar Kilometer von zu
Hause, ein CDU-Bundesparteitag statt. Dies war für mich

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