Kohl, Walter
sicher und geborgen. Diese Burg umgab ich nach
außen mit einem hohen Wall und nach innen mit einem tiefen Wassergraben. Ich
war ein Kämpfer, keiner sollte sich über mich lustig machen, keiner sollte mich
erniedrigen. Hart sein, keine Rücksicht auf sich selbst nehmen, das war mein
Motto.
Das Abitur
im Juni 1982 empfand ich als Erlösung. Endlich fort von dieser Schule, diesen
Lehrern, diesem System des Wegsehens. Plötzlich wollte ich nur noch weg, weit
weg, irgendetwas ganz anderes tun. Das überraschte mich selbst. Hatte ich
nicht gerade erst ein Leben kennengelernt, das mir gut passte? Doch es war ja
klar: So schön es mit der »Mannschaft« war, so wenig würde sie mir eine
Lebensgrundlage bieten können. In mir gab es diese tiefe Unsicherheit, wozu
ich mich berufen fühlen sollte. In dieser Situation fasste ich einen
Entschluss, der mein gesamtes Umfeld erstaunte.
Meine
Freunde fuhren im Sommer zwischen Abitur und Bundeswehr in die Ferien, um Party
zu machen. Ich ging für mehrere Wochen ins Kloster, als Gast der
Benediktinerabtei Maria Laach. Dort erlebte ich die Ruhe des ewig gleichen Tagesablaufes
der Mönche, ich arbeitete im Garten mit, ich befreundete mich mit einigen von
ihnen, vor allem mit denen, die in der Kunstwerkstatt arbeiteten. Ich betete
viel. Ich saß einfach da und »war«. Ich fand meine Verbindung zu Gott wieder.
Ich erlebte das starke Band einer Gemeinschaft, die nicht durch zufällige
Interessen, sondern durch geistige Werte zusammengehalten wird. Nicht zuletzt
entdeckte ich die außergewöhnliche, Beispiel gebende Persönlichkeit des Heiligen
Benedikt. Hier lernte ich seine Lebensgeschichte und seine Mönchsregel kennen.
Diese Spiritualität beeindruckte mich tief und begleitet mich noch heute.
Ich
überlegte zunächst sogar, ob ich Mönch werden sollte. Es wurde nichts daraus,
aber immer wieder habe ich seither Zeiten der Besinnung in Benediktinerklöstern
verbracht. Als Stätten der Ruhe und Einkehr üben sie eine starke Anziehungskraft
auf mich aus. Schon damals waren die Wochen in Maria Laach eine Wohltat für
meine Seele. Es mag ein wenig gefühlspusselig klingen, aber mir gefällt es, zu
wissen, »dass es immer ein Kloster für mich geben wird«.
Stets habe
ich Menschen bewundert, die von Anfang an wussten: Dieses oder jenes will ich,
das ist mein Ding. Wenn eine spezielle Begabung vorliegt, ist es naheliegend,
sich für einen damit übereinstimmenden Lebensweg zu bewerben. Klare Talente,
klare Entscheidungen. Ist jemand ein hochbegabter Fußballer, so will er in die
Nationalmannschaft, er will zu Real Madrid, er will Weltmeister werden. Der
Maler entdeckt sein Talent zum Malen, der Musiker will in die Philharmonie.
Doch ich?
Auch ich
fasste einen Entschluss: Ich würde Berufssoldat werden. Nicht aus vollster Überzeugung,
eher aus einem Gefühl unabweisbarer Berufung heraus. Nein, es erschien mir
einfach als das am ehesten Passende. Wegen seiner Einfachheit und klar
geregelten Form erschien mir das militärische Leben als die weltliche Verwandte
der mönchischen Daseinsweise, die ich schätzen gelernt, für die ich mich in
letzter Konsequenz aber dann doch nicht genügend geeignet fühlte.
Befehl ist Befehl
Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus, so sagt man. Über
mich ist zu sagen, dass ich mein Leben zu lange im Schatten großer Ereignisse
führte. Ein Beispiel: das erste Oktoberwochenende 1982.
Am
Freitag, den 1. Oktober 1982, wurde Helmut Kohl im Deutschen Bundestag als
Kanzler der Bundesrepublik Deutschland gewählt und vereidigt. Eine Wende für
das ganze Land wurde proklamiert. Am Montag rückte Walter Kohl als Rekrut in
ein Jägerbataillon der Bundeswehr ein. Am Samstag und Sonntag hatte ich
zusammen mit Mutter, Bruder, Ecki Seeber, dem langjährigen, getreuen Fahrer
meines Vaters, und Juliane Weber, seiner Büroleiterin, den Umzug von Vaters
Büro vom Abgeordnetenhaus ins Kanzleramt besorgt. Auch im Schatten eines
geschichtlichen Ereignisses müssen schränkeweise persönliche Akten mit
Muskelkraft bewegt werden (Peter, Walter, Ecki Seeber), muss logistisch alles
wie geschmiert laufen (Ecki), müssen Überblick und Ordnung gewahrt sein
(Mutter) und, last but not least, tausend Dinge erledigt werden (Juliane Weber).
Am
Montagmorgen wurde mir mit einem Schlag bewusst, dass ich von den Medien als
gefundenes Fressen vorgesehen war. Ob der Sohn des frischgebackenen
Bundeskanzlers beim Eintritt in den Dienst am Vaterland wohl in einer schicken
Limousine
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