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Kohl, Walter

Kohl, Walter

Titel: Kohl, Walter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leben oder gelebt werden
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Übrigen das Land damit nur in eine Richtung führte, die sein Vorgänger
von der SPD ebenfalls befürwortet hatte. Immer wieder wurde ich, auch in aller
Öffentlichkeit, beschimpft und manchmal sogar körperlich angegangen. Es wurde
für mich fast zum Ding der Unmöglichkeit, mich frei und ungezwungen unter
Menschen zu bewegen. Sogar in meinem engsten Umfeld, in Studentenkneipen und
in der Katholischen Jungen Gemeinde, deren Mitglied ich damals war, wurde ich
angefeindet.
    Für mich
war es ein Glück, dass ich in jenen Monaten einen anstrengenden Dienstalltag in
einer Kampfeinheit der Armee zu absolvieren hatte. Jedenfalls insoweit erfüllte
sich meine stille Hoffnung auf das Militär als einer »Welt für sich«, sie bot
mir zumindest unter der Woche Schutz gegenüber dem aufgeheizten politischen
Klima. Die Kasernierung als Rekrut hatte unschätzbare Vorteile, so anstrengend
es auch war: über den Übungsplatz zu rennen, bis die Zunge aus dem Leib hing;
infanteristisches Gründeln im Schlamm, bis Schweiß und Dreck in der Montur
eine innige Beziehung miteinander unterhielten; Gefechtsausbildung,
Nachtkampfausbildung, Schießtraining, viele Nächte im Biwak und Märsche aller
Art.
    Doch ich
fühlte mich pudelwohl damit. Vor allem, weil sich auch nach Feierabend wie
selbstverständlich die Solidarität einer kleinen Schicksalsgemeinschaft
herausbildete. Wir waren acht Mann auf der Rekrutenstube, insgesamt rund 15
Mann in unserem Panzerabwehrzug. Abends war man einfach viel zu kaputt, um
noch Lust zum Politisieren zu verspüren. Die Härte der Ausbildung und die
militärische Herausforderung, als »Zug« zu funktionieren, ließen uns schnell
zusammenwachsen. Das Leben hatte unseren Haufen zusammengewürfelt, und wir
nahmen es, wie es kam. Ich machte es mir in meinem neuen Habitat, dem Bett und
einem Eckchen mit einigen persönlichen Sachen, so bequem wie möglich. Wie
früher als Schulbub las ich nachts beim Schein einer Taschenlampe und genoss
es, dank einer technischen Neuerung namens Walkman Musik hören zu können, ohne
dass es jemanden störte. Unser Feldwebel spielte bei allem mit, solange wir in
der Leistung den anderen Zügen unserer Kompanie in nichts nachstanden. Sollte
doch draußen wieder ein Wahlkampf toben! Dieses eine Mal wenigstens konnte ich
mich in ein Mauseloch verkriechen, dort in meinem Jägerbataillon.
    Welchen
Segen dies für mich bedeutete, wurde mir an jedem Wochenende zu Hause in
Oggersheim bewusst. Mein Bruder erlebte jetzt die Hölle - ich selbst war zwar
nicht im Paradies, aber, um im Bilde zu bleiben, doch wenigstens im Limbus, jenem
eigenartigen Schwebezustand, der einer geschundenen Seele immerhin eine
Atempause vor weiteren unvermeidlichen Prüfungen verschafft.
    Geschleift
bis in seine Grundfesten wurde mein Idyll durch den Unteroffizierslehrgang im
folgenden Frühjahr. Aus der ganzen Brigade wurden die Teilnehmer
zusammengezogen, die meisten mir natürlich unbekannt. Das immergleiche Spiel
begann wieder. Ich wusste ja zuvor nie, welche Karten ich in die Hand bekommen
würde: In eine neue Gemeinschaft einzutreten, das hieß für mich stets, eine
Zone erhöhten Risikos zu betreten. Diesem Lehrgang eilte der Ruf voraus, eine
einzige Schleiferei zu sein, ein Ruf, den es in den Augen der Ausbilder zu
verteidigen galt. Rein in die Schlammkaule, kreuz und quer über den
Standortübungsplatz, danach zur Feier des Tages noch Extrarunden über eine
brandneue Hindernisbahn. Diese war rund 700 Meter lang und bot alles, was das
Infanteristenherz begehrte: Eskaladierwand, Drahtverhau, Kampfstände,
Balancierstange, Röhren zum Hindurchrobben, Kampfstand.
    Schon an
einem der ersten Tage wird mir schlagartig klar, dass ich dieses Mal ein ganz
mieses Blatt auf der Hand habe. Ein Tag intensiver Gefechtsausbildung liegt
hinter uns, unser Trupp marschiert vom Standortübungsplatz zurück zur Kaserne.
Wir sind erbarmungslos gescheucht worden, haben noch das Brüllen unserer
Ausbilder ob unserer »Lahmarschigkeit« im Ohr. Doch Erschöpfung ist hier noch
lange kein Grund, Müdigkeit zu zeigen! Praktischerweise liegt die Hindernisbahn
direkt hinter dem Kasernentor, nur ein paar Schritte links vom Wege. Die Ehre
einer militärischen Eliteeinheit verbietet es, jetzt einfach so daran
vorbeizugehen. Also alle Mann eine Runde drehen! Danach schnappen wir ausgepumpt
nach Luft, in misstrauischer Erwartung unseres weiteren Schicksals. Doch wie
es scheint, ist diesmal das Glück auf unserer Seite.
»Pause!«
    Auch

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