Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kohl, Walter

Kohl, Walter

Titel: Kohl, Walter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leben oder gelebt werden
Vom Netzwerk:
den anderen, Luft für sie geworden. Das
ist etwas tendenziell Neues. Etwas, das mich verwirrt und das erst verarbeitet
werden muss.
    Was ich in
diesem Moment noch nicht verstand, war, dass die psychologische Anatomie meiner
zwischenmenschlichen Begegnungen um eine weitere Facette bereichert worden war:
das berechnende Verhalten der Mitmenschen. Ich war in den Strom derer
eingetreten, die ihrem Leben eine bestimmte Richtung geben wollten. Die, wie
ich auch, ein berufliches Ziel verfolgten. Die nun etwas zu verlieren oder zu
gewinnen hatten, je nachdem, wie sie sich zu mir stellten. Der Wert einer
Begegnung mit mir berechnete sich in einer einzigen Währung: dem Schaden oder
Nutzen für mein Gegenüber. Die Ablehnung, die ich während meiner Kinder- und
Schülerzeit zu spüren bekommen hatte, trug in der Regel spontane, bisweilen
eruptive Züge. Es ging dabei eigentlich ausnahmslos darum, dass jemand mit der
Politik Helmut Kohls nicht einverstanden war und sein Mütchen an mir kühlen
wollte. Da schlug etwas vom Bauch her durch, es wurde selten vom Kopf aus
durchdacht. Nun aber machte ich vermehrt mit der Fassadenhaftigkeit und
Doppelgesichtigkeit eines bestimmten Verhaltenstyps Bekanntschaft. Ich lernte
zunehmend Menschen kennen, die nur freundlich zu mir waren, um dadurch
irgendwie an meinen Vater heranzukommen, und sich Vorteile zu sichern. Oder
Menschen, die sich Vorteile davon versprachen, indem sie mich ablehnten. So wie
meine Kameraden im Unteroffizierslehrgang, die nun ein klares Zeichen erhalten
hatten, was ihre Vorgesetzten über Helmut Kohl dachten. Da war es in jedem Fall
besser, den Kopf einzuziehen, den Mund zu halten und lieber nicht mit mir zu
sympathisieren.
    Dass es
die reine Willkür war, wie man mich behandelte, war ja klar. Doch alle sahen
darüber hinweg. Niemand wollte »hineingezogen« werden. Also ging man mir aus
dem Weg. Eine kalte Stille umgab mich von nun an. Wer könnte es Menschen
verdenken, dass sie so handeln? Schließlich war dieser Lehrgang sehr wichtig
für die Karriere jedes Einzelnen von uns. Wir waren keine Wehrpflichtigen,
sondern Zeitsoldaten, und nicht wenige von uns hofften, sich nach Bestehen des
Lehrgangs weiterverpflichten zu können. Von daher die Devise: bloß jetzt nicht
anecken, nicht aufmucken, keine unnötigen Angriffsflächen bieten. Wieder lag
ich mit mehreren Mann auf der Stube, aber alles war so anders als in der Grundausbildung.
Eng zusammen, wenige Quadratmeter miteinander teilend und ich selbst dabei
doch wie auf einer einsamen Insel - so kam ich mir vor, in einer der bizarrsten
Situationen meines bisherigen Lebens.
    Der
Lehrgang dauerte rund zehn Wochen, und Szenen wie die bereits beschriebene
wiederholten sich mehrmals. Die Ausbilder lachen über mich. Ich schweige, alle
schweigen. Ich bekomme Übung darin, diese Dinge auszuhalten. Ich sitze diese
spezielle Art der Behandlung aus. Innerlich sage ich mir immer wieder: Sie
werden mich nicht brechen, sie werden mich nicht besiegen. Ich schaffe das, ihr
kriegt mich nicht. Ich fresse alles in mich herein.
    Ich hatte
zu diesem Zeitpunkt schon einige Übung darin, meine Reaktion nicht allzu
spontan ausfallen zu lassen, sondern zunächst eine rationale Konsequenzanalyse
zu versuchen, wenn das Grundproblem meines noch jungen Lebens mich wieder
einmal unmittelbar und unverhofft vor die Frage stellte: Wie nun damit umgehen?
So wog ich auch jetzt die Alternativen gegeneinander ab: sich zu beschweren -
oder es einfach hinzunehmen. Einen Mittelweg gab es nicht, denn dies war keine
Schulklasse, in der man diskutieren konnte, sondern das deutsche Militär, wo
man kämpfen lernen sollte. Die Entscheidung war also schnell getroffen: Eine
Beschwerde kam überhaupt nicht infrage. Ich sah schon die Schlagzeilen vor
mir:
»Kanzlersohn kann einfachen Befehlen nicht folgen!«
    »Kanzlersohn
ist sich zu fein für die Ausbildungsmethoden der Bundeswehr!«
    Eine
hochnotpeinliche Untersuchung würde veranstaltet werden müssen. Meine
Lehrgangskameraden müssten als Zeugen aussagen, die Ausbilder würden befragt
werden. Mein größter Wunsch aber war es, als Gleicher unter Gleichen anerkannt
und auch von meinen Vorgesetzten so behandelt zu werden. Im Falle des Erfolges
einer Beschwerde würde ich jedoch endgültig abgestempelt werden. Meine
Kameraden, so fürchtete ich, hätten dann tatsächlich einen Grund, zu argwöhnen,
dass ich eine Sonderrolle für mich reklamierte. Und so sicher wie das Amen in
der Kirche würden bestimmte Medien

Weitere Kostenlose Bücher