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Kohl, Walter

Kohl, Walter

Titel: Kohl, Walter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leben oder gelebt werden
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ihm persönlich den Befehl erhalten
hatte, meine Ankunft auf der Stelle zu melden. Niemand hätte doch wohl auf die
Idee kommen können, dass ich mit den anderen Rekruten ausgerechnet auf einem
Bundeswehr-Lkw einrücken würde. Ich glaubte meinen Ohren nicht zu trauen. Hätte
ich etwa die Plane hochheben und den Kameraden zurufen sollen »Hey, hier bin
ich, der Sohn vom Kohl«, oder was?
    Was also
hatte ich mir zuschulden kommen lassen? Diese Frage verkniff ich mir, aber sie
muss mir wohl überdeutlich im Gesicht gestanden haben. Der Kommandeur beschied
mir in schneidendem Ton, man habe ihm die Verantwortung für meine Sicherheit
übertragen, und auch wenn er sich diese Aufgabe nicht freiwillig ausgesucht
habe, gedächte er sie doch nach eigenem Gutdünken so gut wie möglich zu
erfüllen. Unterm Strich war klar, wie er mich einordnete: wahlweise als
Volltrottel oder als renitenten Störenfried. Im Übrigen sei ein
Feldjägerkommando zu meinem Personenschutz bereits angefordert und unterwegs.
Unter seiner ständigen Überwachung hätte ich meinen Dienst zu verrichten.
    Mit einem
Mal saß da für mich nicht mehr mein zukünftiger oberster Vorgesetzter. Da saß
schlicht ein mir völlig unbekannter Mann, der mich in tiefste Verzweiflung
zurückstieß. Äußerlich blieb ich immer noch ruhig, aber innerlich bebte ich.
    Lieber
möchte ich sterben, als in der Kaserne mit Personenschutz herumzulaufen. Bin
ich nicht als freiwilliger Zeitsoldat gekommen? Alles, was ich will, ist,
meinen Dienst zu leisten. Stattdessen werde ich
behandelt wie ein Aussätziger.
    Ich kann
mich nicht mehr an den vollständigen Wortlaut des nun folgenden Gesprächs
erinnern, sehr wohl allerdings an die entscheidenden Schlüsselsätze. Ich setzte
alles daran, eine rationale, sachliche Auseinandersetzung zu führen. Aber das
war natürlich unmöglich. Schließlich war dies keine Selbsterfahrungsgruppe,
sondern das deutsche Militär, nein, besser noch: eine Kampfeinheit der
Jägertruppe. Und da ich mit dem Rücken zur Wand stand, reagierte ich dementsprechend:
Ich wurde lauter und aggressiver. Logisch, dass mein Gegenüber mir irgendwann
zeigen musste, wo hier der Hammer hing. Ich verstand: Er würde mir
Personenschutz befehlen, und Befehl ist Befehl!
»Und das gilt auch für den Sohn des Bundeskanzlers!«
    Dieser
Satz aber schüchterte mich nicht ein. Im Gegenteil. Statt meine heiße Wut an
ihm auszulassen, erspürte ich mit kühler Sicherheit seinen wunden Punkt.
    »Und woher
kommt dieser Befehl?«, schoss ich zurück.
    Er starrte
mich an, als ob ich vom Mond auf die Erde gefallen wäre. Entweder er war
plötzlich sprachlos, weil ihm Stillschweigen auferlegt worden war, oder er
wollte es einfach selber nicht sagen. Ich fühlte, wie ich Oberwasser bekam. Ich
glaube, dass es gar keinen höheren Befehl gab und dass diese Maßnahme
ausschließlich von ihm selbst ersonnen war. Nun ging ich zum Angriff über, und
unsere Auseinandersetzung endete damit, dass er mich, wie man so schön sagt,
»achtkantig« aus dem Kommandeursbüro warf. Zum Thema Personenschutz hörte ich
zu meiner großen Erleichterung während meiner ganzen Bundeswehrzeit nie wieder
etwas. Doch es war auch ein Pyrrhussieg. Während meiner zwei Jahre in diesem
Bataillon zahlte ich bei jedem direkten oder indirekten Zusammentreffen mit dem
Kommandeur einen Teil der Zeche.
    Helmut
Kohl war durch ein konstruktives Misstrauensvotum des Bundestags ins Amt
gelangt und hatte versprochen, sich innerhalb von sechs Monaten dem Votum des
Volkssouveräns zu stellen. Der Urnengang vom März 1983 wurde zur Entscheidung
über den »NATO-Doppelbeschluss« - heute ein Begriff aus einer schon als fern
empfundenen Vergangenheit, damals aber das politische Reizwort schlechthin.
Gemeint war damit, auf dem hochsensiblen Gebiet der Abrüstungsverhandlungen
eine Doppelstrategie zu fahren: im Bereich der Mittelstreckenraketen
nachzurüsten, um die Sowjetunion an den Verhandlungstisch zu bringen. Selten
wurde ein Bundestagswahlkampf so emotional geführt. Alle heutigen Befürchtungen
hinsichtlich der Möglichkeit einer globalen Umweltkatastrophe verblassen
gegenüber der Angst vor einem atomaren Schlagabtausch der Supermächte, die
seinerzeit in der Bevölkerung umging.
    Diffuse
Angst, Zorn und Frustration bedürfen eines konkreten Bildes, eines Namens,
eines Gesichtes, um einen Angriffspunkt zu ihrem Ausagieren zu erhalten. Das
bekam ich jetzt zu spüren, als Sohn eines demokratisch gewählten Politikers,
der im

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