Kohl, Walter
galten, denn dieser war ja unbestritten Akteur in jenem
Machtspiel, das die eigentliche Grundlage der ganzen Affäre bildete. Nein, ich
meine die erheblichen psychischen Kollateralschäden einer Auseinandersetzung,
die von seinen Gegnern zunehmend mit Angriffen unterhalb der Gürtellinie
geführt wurde, im Hinblick auf völlig unbeteiligte und absolut unschuldige
Familienmitglieder des Protagonisten.
Der
Volksmund bescheinigt dem klassischen Pechvogel ein besonderes Talent dafür,
»zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein«. Nun, ich selbst fühlte mich
seinerzeit tendenziell als ganz besonderer Pechvogel, bedurfte es für mich doch
gar keiner zeitlichen oder räumlichen Abstimmung mit dem Unglück. Ich hatte
ja meinen Stammplatz in seiner engsten Nachbarschaft sicher. Mich dünkte, der
Königsweg zum Pechvogeldasein war es immer noch, ganz einfach den »falschen Namen«
zu tragen. Ich war zu keinem Zeitpunkt meines Lebens CDU-Mitglied. Ich hatte
nie ein öffentliches Amt inne und habe nie politische Mandate ausgeübt. Ich
fühlte mich als Bürger eines freiheitlich-demokratischen Gemeinwesens, eines
Rechtsstaats, welcher mir die Unverletzlichkeit der Person garantierte.
Allerdings trug ich den Namen Kohl. Damit hatte ich das Pech, in eine
beispiellose mediale und politische Auseinandersetzung hineingezogen zu werden.
Der
Pranger ist heute nicht mehr auf dem Marktplatz. Er befindet sich in den
Fernsehschirmen und Schlagzeilen. Eigentlich ging es doch um Helmut Kohl, in
der öffentlichen Diskussion aber wurde nur sehr selten die notwendige Trennung
zwischen ihm und seiner Familie vollzogen. Niemand stand auf und sagte: Lasst
die Familie in Ruhe! Wo waren sie jetzt alle, die Freunde von gestern? Wo waren
die Träger der moralischen Werte, die sich in Talkshows und Veranstaltungen
als moralischer Standard präsentierten?
Über
Monate lieferte, nicht zuletzt auch wegen der Verschleppung des Verfahrens
durch die damalige Regierung, das Thema Parteispenden den Schlagzeilenbringer
in Deutschland schlechthin. Meine Mutter, mein Bruder und ich: Wir sind
seinerzeit durch ein mediales Fegefeuer gegangen. Wir wurden von Journalisten
belagert und verfolgt. Es gab kein Ausweichen mehr, sogar in unserem engsten
Freundeskreis wurde herumgestochert. Überall wurden Skandale gewittert, wurde
verbissen versucht, »verwertbares Material« auszugraben. Ist es nicht ein
Armutszeugnis für unsere Gesellschaft, dass die Familie stets als
»Schwachpunkt« einer öffentlichen Person gilt? Wenn schon Helmut Kohl selbst
stur blieb und beharrlich schwieg - man musste ihn doch wenigstens an dieser
Sollbruchstelle knacken können!
Einen
unrühmlichen Tiefpunkt des »investigativen Journalismus« bildete für uns der
rücksichtslose Vorstoß eines sehr bekannten ARD-Journalisten ins Innerste
unserer Privatsphäre. Er rief eines Tages meine Mutter an und verlangte von
ihr die Namen der anonymen Spender zu erfahren, die preiszugeben mein Vater
sich hartnäckig geweigert hatte. Um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen,
schreckte dieser Mann von vorgeblich tadellosem Ruf nicht vor einem perfiden
Erpressungsversuch zurück. Er behauptete, ihm seien »die kompletten
Abhörprotokolle der Stasi« von unseren privaten Telefonaten in Oggersheim aus
den 1980er-Jahren angeboten worden. Und er ließ die Behauptung folgen, dass aus
diesen Mitschnitten zahlreiche Details hervorgingen, die unsere Familie schwer
belasteten.
Meine
Mutter war entsetzt, aufgelöst und total verunsichert, wobei erwähnt werden
muss, dass sie damals bereits schwerstkrank war. Aufgrund ihrer Lichtallergie
verbrachte sie ihre Tage hinter zugezogenen Vorhängen bei Kunstlicht und verließ
das Haus nur noch zu gelegentlichen Spaziergängen des Nachts. Zufällig hatte
ich sie just an diesem Tage besucht. Also bat sie den Journalisten um etwas
Bedenkzeit, weil sie sich mit mir zu beraten gedachte. Ein weiteres Telefonat
wurde vereinbart.
Zusammen
besprachen wir eine angemessene Vorgehensweise. Wir wussten, dass unser
Privattelefon über viele Jahre von mehreren Geheimdiensten abgehört worden war
und dass gewisse Dokumente auf dem »Schwarzen Markt« verfügbar waren.
Andererseits: Wir hatten uns nichts vorzuwerfen. Falls unsere privatesten
Gespräche veröffentlicht würden, wäre dies zwar äußerst unangenehm. Wir wussten
aus eigener leidvoller Erfahrung, dass dabei immer etwas hängen bleibt, auch
wenn sich alle Anschuldigungen hinterher als haltlose
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