Kohl, Walter
Diffamierungen
herausstellen. Deshalb aber klein beigeben? Schnell waren wir uns einig: Von
einem solchen Schmutzfinken würden wir uns nicht erpressen lassen, auch wenn er
aufgrund seiner Position die Macht hatte, uns alles Mögliche anzudichten.
Wenig
später klingelte das Telefon erneut. Meine Mutter gab mir den Zweithörer,
sodass ich das Gespräch mitverfolgen konnte. Trotz ihres angeschlagenen
gesundheitlichen Zustands wahrte sie in dieser schwierigen Situation Souveränität.
Sie tat zunächst so, als ob sie die Fragen beantworten wolle, um ihrerseits
noch ein wenig mehr über die angeblichen Protokolle zu erfahren. Der Journalist
gab jedoch nichts Substanzielles preis - bluffte er also vielleicht nur? Er
dramatisierte die Lage mit der Behauptung, dass diese Mitschriften das
Privatleben unserer Familie schonungslos offen legten und dass dadurch vieles
herauskäme, was für uns äußerst schmerzhaft sei. Und er setzte noch eins
drauf, indem er behauptete, dass auch Mitschnitte von Gesprächen zwischen
Helmut Kohl und wichtigen Amtsträgern der CDU dabei seien, deren Brisanz nicht
zu unterschätzen sei.
Meine
Mutter hatte jetzt, wie man so schön sagt, »die Nase gestrichen voll«. Kühl
beschied sie ihn, dass sie keinesfalls auf irgendwelche Erpressungsversuche
eingehen würde.
»Veröffentlichen
Sie doch, was Sie veröffentlichen müssen. Ich habe da keine Angst. Ich sage
Ihnen aber, dass Sie nichts von Bedeutung in der Hand haben, wenn Sie überhaupt
etwas haben.«
Und dann
schob sie noch einen Satz nach, der ihren tiefen Abscheu ausdrückte:
»So jemand
wie Sie gehört nicht in den Journalismus. Scheren Sie sich zum Teufel.«
Ich habe
es immer als eine ihrer großen Stärken bewundert, dass sie solche derben Sätze
in völlig ruhigem Tonfall sagen konnte, als sei es die reinste Höflichkeit.
Gerade dadurch konnten sie so vernichtend wirken. Es war äußerst selten, dass
sie so redete, und wenn, gab es stets einen sehr triftigen Grund dafür. Grußlos
hängte sie auf, das Gespräch war beendet.
Wir haben
danach nie mehr etwas weder von diesem Mann noch von seinen angeblichen
Protokollen gehört. Er war regelmäßig in den Nachrichtensendungen zu sehen,
ein wichtiger Mann damals bei der ARD. Für uns war ein für alle Mal klar, dass
es jemandem wie ihm nicht um ehrlichen Journalismus ging, sondern nur darum,
Quote zu machen - koste es, was es wolle.
Diese
Aktion in ihrer unverfrorenen Frechheit war alles andere als ein Einzelfall.
Verdächtigungen aller Art richteten sich gegen uns, die Spekulationen schossen
nur so ins Kraut, auf einmal schien die Familie Kohl zu jeder Schandtat fähig.
Überall wurde »gebaggert«, nur um das Fitzelchen einer kompromittierenden
Information zu erhalten. Dass die Öffentlichkeit ein Recht darauf hat, durch
die Medien unabhängig informiert zu werden, dass Journalisten dabei auch
investigativ vorgehen müssen, ist völlig unstrittig. Doch wo zieht man dabei
die Grenze? Zieht man sie überhaupt noch, was den »Boulevard« betrifft? Ab wann
wird ein Mensch zum medialen Freiwild? Ab wann werden seine Grundrechte
verletzt?
In diesen
Jahren wurde der Name Kohl für mich vollends zu einem überschweren Erbstück,
mit dem ich nur mühevoll oder manchmal auch gar nicht umgehen konnte. Immer wieder
wurde ich in geradezu absurde Situationen geworfen und musste erleben, dass mir
völlig unbekannte Menschen eine unumstößliche Meinung über mich hatten und
diese ungeprüft und rücksichtslos kundtaten. Immer wieder auch ließen
wildfremde Menschen ihre negativen Gefühle gegenüber meinem Vater an mir aus.
Das Schlimmste aber war wohl, dass diese Entwicklung diesmal sogar auch mein
engstes persönliches Umfeld ergriff.
Die Liste
derer, die mit mir nichts mehr zu tun haben wollten, wurde stetig länger. Sie
reichte von flüchtigen Bekannten bis zu dem Menschen, von dem ich geglaubt
hatte, er sei mein bester Freund. Fast fühlte ich mich wie ein Leprakranker.
Mein Bekanntenkreis schmolz wie Schnee in der Sonne. Es war für viele schlicht
peinlich, mit mir bekannt oder gar befreundet zu sein - mit einem Menschen,
über dessen Vater so viel Negatives geschrieben und berichtet wurde. Nie zuvor
schien meine Stigmatisierung als »Sohn vom Kohl« verletzender gewesen zu sein
als jetzt, in den Jahren 2000 und 2001.
In einer
solchen Situation lernt man aber auch seine echten Freunde kennen und schätzen.
Auch weiß man, dass diejenigen, die wieder zurückkommen, nachdem sich
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