Kohl, Walter
dies
nicht nur am vollen Terminkalender meines Vaters scheiterte, sondern auch an
meinem eigenen. Ja, ich glaube, als ich im Ausland war, telefonierten wir sogar
häufiger miteinander als in meiner Kölner Zeit. Und doch wäre jetzt die Zeit
gewesen, um das einmal Erreichte zu bewahren und unsere Gemeinschaft
weiterzupflegen. So plätscherten die Jahre vor sich hin. Alle waren busy, busy,
busy ... und wir lebten irgendwie aneinander vorbei, so nah und doch so fern.
Medial in Mithaftung genommen
Ende 1998 endlich meinte ich durchatmen zu können. Nach der
verlorenen Bundestagswahl und seiner Entpflichtung als Bundeskanzler erklärte
mein Vater seinen Rücktritt auch von allen Parteiämtern. Sein Rückzug aus der
Politik schien mir wenn schon keine hinreichende, so doch eine notwendige
Voraussetzung dafür zu sein, dass mein eigenes Leben sich freier entwickeln
würde.
Ich wollte
es gern glauben, aber da gab es ein paar Hindernisse. Nicht zuletzt mein Hang
zum Opferdasein, den ich allerdings immer noch nicht in seiner vollen
Bedeutung erkennen mochte. Aber zunächst fragte ich mich, ob man sich um
meinen Vater Sorgen machen musste. Ein political animal wie er,
bei dem die Woche mindestens sechs, oft sieben Arbeitstage und der Tag im
Schnitt 16 Arbeitsstunden hatte, ein Mensch, für den es selbstverständlich
gewesen war, ständig unter anderen Menschen zu sein und immer im Mittelpunkt zu
stehen: Wie würde einer wie er es verkraften, plötzlich überreichlich Zeit »für
sich selbst« zu haben und nur noch Dinge tun zu »dürfen«, die auf keinem
Terminplan standen? Wie würde sich das auf meine Mutter auswirken, die dem Ende
permanenter Überlagerung des Privatlebens durch die Politik immerhin frohgemut
entgegensah?
Der
Wechsel ins Privatleben wird einem Politiker nach einer langen Karriere in
unserem Land nicht eben leicht gemacht. In anderen Ländern, beispielsweise in
den USA, werden altgediente Politiker gern zu diplomatischen Sonderaufgaben
herangezogen. Deutschland dagegen pflegt seine elder statesmen wenig, und
es verzichtet weitgehend darauf, ihre Erfahrung und ihren persönlichen Einfluss
beispielsweise auf internationaler Ebene zu nutzen. Wenn man, wie mein Vater,
über drei Jahrzehnte lang in der ersten Reihe stand, dann ist ein abrupter
Rückzug aus dem politischen Leben emotional problematisch. Es wird ja auch
woanders oft zum menschlichen Dilemma, wenn der »Alte« gehen muss - und weiß,
dass er künftig auch möglichst weit weg bleiben soll. Je höher das Amt, je
länger es ausgeübt wurde, umso höher ist der eigene Prestigeverlust, und
Prestige ist eine der wesentlichen Triebfedern politischer Karrieren.
Nun gab
es, wie sich herausstellen sollte, zwei Gründe, dass es meinen Eltern doch
nicht langweilig werden sollte. Da waren zum einen die zahlreichen Ehrungen
und öffentlichen Würdigungen, oft mit Auslandsreisen verbunden. Das war
vorhersehbar, aber von begrenzter Wirkungsdauer. Gänzlich unvorhersehbar
dagegen war etwas, das sich zu einer nicht enden wollenden, äußerst
unangenehmen Geschichte entwickeln sollte. Wie ein Blitzeinschlag fuhr sie ins
Leben der ganzen Familie Kohl und rief dort eine geradezu existenzielle
Erschütterung hervor. Gemeint ist die CDU-Parteispendenaffäre.
Die
Tatsache, dass ich als Unbeteiligt-Beteiligter mit im Zentrum des Sturms stehen
musste, wenn ich so sagen darf, gibt mir wohl einige Berechtigung, hier eine
grundsätzlich andere Betrachtungsweise zu wählen als alle Kommentatoren mit
politischen, zeitgeschichtlichen oder juristischen Interessen. Was ich hier zu
berichten und zu bemerken habe, ist höchst selektiv, und alle Bemerkungen, die
ich daran knüpfen werde, durchaus subjektiv. Es ist meine Geschichte
und es sind meine Bewertungen. Es interessiert mich
hier überhaupt nicht, wer wem wie viel Geld gegeben hat, was damit gemacht
wurde, wer sich wem gegenüber mit welchen Ehrenworten verpflichtet gefühlt hat,
ob dabei gegen die Rechtsordnung oder gar die Verfassung verstoßen wurde, und
auch nicht, ob und inwieweit die gesprochenen Urteile gerecht oder ungerecht
gewesen sein mögen. Es geht mir hier vielmehr allein um das, was selbst das
Landgericht Bonn, als es meinen Vater zu einer Geldbuße von sehr nennenswerter
Höhe verurteilt hatte, nicht umhin kam, als »persönlich herabwürdigende
Angriffe in der Medienberichterstattung« zu bezeichnen.
Wobei es
mir ganz persönlich nicht einmal um jene medialen Übergriffe geht, die meinem
Vater selbst
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