Kohl, Walter
der
Pulverdampf verzogen hat, keine wirklichen Freunde sind. Und manche
Verwerfungen bleiben mit erstaunlicher Hartnäckigkeit bestehen. Als ich Anfang
2003 - die mediale und juristische Aufarbeitung der »Causa Kohl« war längst
abgeschlossen - eine berufliche Veränderung unternehmen wollte, lehnten mich
mehrere Personalberater mit identischer Begründung ab:
»Herr
Kohl, Sie haben eine gute Ausbildung, Sie sind qualifiziert, normalerweise
kein Problem. Aber ich belaste doch meine Reputation nicht, indem ich mit Ihnen
in Verbindung gebracht werde.«
Schmerzlich
war für mich auch, dass sich das Verhältnis zwischen mir und meinem Vater, das
sich zuvor endlich positiv zu entwickeln schien, erneut verschlechterte. Vater
zog sich damals sehr in sich zurück, er war verbittert und verschloss sich
zunehmend. Auf einmal hatte er wieder so viel um die Ohren, dass er nicht mehr
in der Lage war, an etwas anderes zu denken als an seinen eigenen, persönlichen
Kampf. Für ihn war das alles ein Angriff auf seine Person, auf sein politisches
Lebenswerk. Dass dieser Angriff auf ihn auch erhebliche Nebenwirkungen auf
andere, ihm nahestehende Personen hatte, das sah er nicht, oder er konnte es
nicht zugeben. Es war im Grunde wieder so wie früher: Meine, unsere
Bedürfnisse, Sorgen und Nöte wurden von ihm schlicht nicht anerkannt. Ein
spürbarer, erneuter Vertrauensverlust zwischen uns war die unausweichliche
Folge. Bis heute haben wir kein klärendes Gespräch über die Auswirkungen der
Spendenaffäre auch auf mein Leben führen können.
Der »Sohn
vom Kohl« feierte fröhliche Urständ, und Walter Kohl blickte in einen Abgrund.
Ich war außerstande, die mir aufgezwungene Rolle wenigstens innerlich
abzulehnen und identifizierte mich voll und ganz mit dem Status als Opfer.
Äußerlich funktionierte ich in allen Lebensfeldern weiter, beruflich und
privat, besonders in meinen Verpflichtungen gegenüber meinem Sohn. Ja, ich war
sogar ein »leidenschaftlicher« Vater. Doch innerlich fühlte ich mich
ausgebrannt, ausgehöhlt. Viele Fragen türmten sich vor mir auf.
Wie gehe
ich mit den Erfahrungen meines Lebens um? Wie gehe ich mit meiner Herkunft,
meiner Vergangenheit um? Wie gestalte ich mein Leben?
Warum lebe
ich überhaupt? Hat mein Leben einen Sinn? Wie kann ich mein Leben genießen? Wie
werde ich glücklich? Wie gehe ich mit dem Leid und der Ungerechtigkeit um?
Warum
trifft es immer wieder mich? Liegt das an mir, bin ich nur voller
Selbstmitleid?
Und immer
wieder:
Wie
schaffe ich das: Leben, statt gelebt zu werden?
Nichts wird hier mehr so sein wie bisher
5. Juli 2001, gegen zwölf Uhr mittags.
Juliane
Weber, die Büroleiterin meines Vaters, ruft mich aus Berlin in meinem
Frankfurter Büro an.
»Walter, deine Mutter ist tot.«
In einem
solchen Moment beginnt der Mensch wie eine Maschine zu funktionieren. Als wenn
ein innerer Hebel umgelegt würde, um Handlungsfähigkeit sicherzustellen, bevor
die Gefühle ihn niederwerfen. Ich wusste sofort:
Mutter hat
von sich aus einen Schlussstrich gezogen.
Sie litt
unter einer sehr seltenen und sehr schmerzhaften Form von Lichtallergie. Diese
war durch eine Fehlbehandlung mit einem ungeeigneten Antibiotikum, auf das sie
mit schweren Allergien reagierte, im Februar 1993 ausgelöst worden. Im Lauf der
Jahre wurden ihre gesundheitlichen Probleme immer gravierender. Ihr
Lebenskreis verengte sich dadurch mehr und mehr. Schon lange hatte sie das Haus
nur noch nach Einbruch der Dunkelheit verlassen können. Über anderthalb Jahre
schon hatte sie sich auch innerhalb ihrer eigenen vier Wände tagsüber nur noch
in einem einzigen Zimmer aufgehalten, das total verdunkelt worden war. Es war
mein ehemaliges Kinder- und Jugendzimmer im ersten Stock, das sie sich zu
ihrem letzten Refugium umgebaut hatte.
Nach
unzähligen ärztlichen Konsultationen hatte Mutter alle Hoffnung verloren,
jemals wieder in menschenwürdigen Umständen leben zu können. Überall die gleiche
Antwort: Ihre Krankheit ist unheilbar und wird sich stetig verschlimmern. In
letzter Zeit hatte sie häufig mit mir darüber gesprochen, ihre verzweifelte
Lage stand mir deutlich vor Augen. Die Krankheit, aber auch die Demütigungen,
die sie im Zuge der Spendenaffäre erlitten hatte, all die verlorenen Freundschaften
und gebrochenen Versprechen, der Verrat so vieler Menschen, auf die sie gezählt
hatte, brachten sie an den Rand ihrer physischen und psychischen Reserven.
Ich ließ
alles stehen und liegen und raste mit dem
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