Kohl, Walter
die
Kellertreppe hinuntergeschaut hätte.
Als unser
Haus, wie bereits beschrieben, sicherheitstechnisch umgebaut werden musste,
entschied sich mein Vater, für einige Monate auszuziehen, um durch den
Bautrubel nicht in seiner Arbeit gestört zu werden. Er sagte sinngemäß zu seiner
Frau: Mach das mal, ich komme wieder, wenn alles fertig ist, und ich bin
sicher, dass es sehr schön wird.
Ich
brauche nicht zu wiederholen, wie umfangreich die erforderlichen Baumaßnahmen
waren, und jeder kann sich vorstellen, wie viel Lärm und Dreck dabei entstand.
Die ganze Operation dauerte monatelang und war für die drei im Hause
verbliebenen Bewohner eine Belastung. Ich gebe zu, dass auch mein kindliches
Gerechtigkeitsempfinden dadurch in Mitleidenschaft gezogen wurde, und zwar
aufgrund der Tatsache, dass ausgerechnet derjenige, der doch den »Grund« für
all das lieferte, sich heimlich, still und leise dem ganzen Stress entziehen
konnte.
Als
Bundeskanzler und Parteivorsitzender war Helmut Kohl es gewohnt, sich nur um
Dinge zu kümmern, die aus seiner Sicht »wirklich wichtig« waren. Alles andere
wurde delegiert.
Dafür gab
es Referenten, Sachbearbeiter und Assistenten, die mit den gewünschten
Ergebnissen zurückzukommen hatten. Er tat alles, um sich nicht mit
»Kleinigkeiten« aufzuhalten. Diese Haltung übertrug er konsequent auf sein
Privatleben, und als eheliche Arbeitsteilung funktionierte sie nach außen hin
vollkommen problemlos, auch wenn Hannelore intern nicht selten über die
Abwesenheit Helmuts schimpfte, und sie empfand es durchaus auch als
Desinteresse seinerseits. Ob sie allerdings wirklich glücklicher gewesen wäre,
wenn er sich aktiv eingeschaltet hätte, wage ich zu bezweifeln, denn wenn sie
einmal eine Aufgabe als die ihre angenommen hatte, dann wollte sie auch der
unangefochtene Chef in ihrer Erfüllung sein.
Doch nun
gab es daheim keine Kümmer-Instanz mehr. Im Spätsommer 2001 musste eine neue
Lösung gefunden werden. Aufgrund von Mutters Abschiedsbrief an mich nahm ich
nun diese Verpflichtung an. Ich ernannte mich quasi, aus der Not des
Augenblicks heraus, zum Assistenten meines Vaters, mit dem Ehepaar Seeber, das
in Oggersheim lebte, an meiner Seite. Wir bildeten nunmehr eine
Arbeitsgemeinschaft, um meines Vaters Alltag zu managen.
Schon sehr
bald stellte ich fest, dass sich aufgrund der jahrelangen Krankheit von Mutter
und ihrer zunehmend eingeschränkten Einsatzfähigkeit ein erheblicher Stau an
Aufgaben ergeben hatte. Schon etwa zwei Jahre vor ihrem Tod war sie so schwer
von der Krankheit gezeichnet, dass sie meiner Meinung nach de facto nicht mehr
voll entscheidungsfähig war. Deshalb konnte sie sich in den letzten
Lebensjahren um vieles nicht mehr kümmern, und somit war eine doch recht
unübersichtliche Situation in vielen Angelegenheiten meiner Eltern entstanden.
In
Zusammenarbeit mit unserer Hausbank, der Versicherung und unseres
Steuerberaters wurde binnen weniger Monate der bürokratische Aufgabenstau
abgearbeitet. Im Prinzip arbeitete ich meinem Vater dabei zu wie ein
Vorstandsassistent. Da wir etwa 150 Kilometer entfernt voneinander entfernt
lebten, fasste ich wichtige Dinge zunächst in kurze schriftliche Vorlagen für
ihn zusammen und faxte sie ihm zu, sodass wir möglichst viel per Telefon
entscheiden konnten, was ich dann anschließend erledigte. Irgendwann bemerkte
ich jedoch, dass er meine Vorlagen nur noch flüchtig las, wenn überhaupt, und
eine Diskussion ihn letztlich gar nicht interessierte. Er wollte die Dinge
einfach erledigt sehen. Also änderte ich mein Vorgehen und teilte ihm einfach
meine Empfehlung für eine konkrete Entscheidung mit. Seine Standardantwort war
dann:
»Mach das so.«
Diskussionen
oder kritische Rückfragen gab es so gut wie nie. Er spürte, dass ich in seinem
Sinne handelte, und wollte nur immer das letzte Wort haben, auch wenn dies de
facto ein Einverständnis war. Die neue Kümmerer-Struktur war definiert. Vor
Ort in Oggersheim kümmerte sich das Ehepaar Seeber rührend um meinen Vater,
sodass eine fast vollständige Betreuung seiner Person gewährleistet war. Alle
Haushaltsthemen besprach Frau Seeber direkt mit mir. Ich übernahm eine Art
Gesamtleitung.
So
ausgebrannt ich mich in jener Zeit fühlte, so sehr lief doch der »Kümmerer« in
mir zur Hochform auf. Alles, worum ich mich kümmerte, ging mir mit Leichtigkeit
von der Hand.
Allerdings
war, objektiv betrachtet, nicht all mein Sorgen so unabweisbar notwendig wie im
Falle meines Sohnes.
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