Kohl, Walter
einmal das Wichtigste. Inzwischen
war es Nachmittag geworden. Mein Vater und mein Bruder trafen ein. Mein Vater
war völlig in sich versunken. Ich habe ihn sonst nie so erschüttert erlebt wie
jetzt, er war nicht ansprechbar. Peter und ich verstanden uns ohne Worte: Es
musste etwas geschehen, sonst würde die Situation aus dem Ruder laufen. Alle um
uns herum waren darauf geeicht, dass Helmut Kohl der Chef war. Aber der Chef
blieb stumm. Niemand hätte gewagt, ihn jetzt anzugehen und dazu aufzufordern,
das zu tun, was er besser verstand als alles andere: den Leuten zu sagen, wo es
langgeht. Für Peter und mich war dies eine neue Situation. Wir verstanden, dass
nun wir beide gefordert waren, und wir nahmen die Herausforderung an. Nun war
es an uns beiden, zu handeln.
In der
nächsten Nacht konnte ich nicht schlafen. Gegen vier Uhr morgens schlich ich
mich leise durchs Haus, um zu meiner Mutter zu gehen. Bei ihr traf ich meinen
Bruder, der schon am Bett saß. Gemeinsam verharrten wir lange dort, nahmen
stummen Abschied. Erst dann begannen wir zu sprechen. Schließlich fassten wir
uns an den Händen und schworen uns gegenseitig:
Mama, du wirst
ein würdevolles Begräbnis haben.
Es war in
dieser Situation, da ich zum ersten Mal wahrnahm, dass ihr Tod für mich nicht
allein einen schweren persönlichen Verlust bedeuten würde. Ich empfand
deutlich, dass ihr Scheiden meine innersten Überzeugungen berührte. Es war etwas
Fundamentales geschehen, etwas, das seine Echos in alle Bereiche meines Seins
und meines Denkens sendete, auch wenn ich die Auswirkungen noch nicht verstand.
Jetzt musste erst einmal gehandelt werden, es war keine Zeit für tiefe
Gedanken.
Peter und
ich waren uns schnell einig. Unsere Aufgabenteilung war folgendermaßen: Er
würde sich um alle Formalitäten kümmern, die beim Ableben eines Menschen
notwendig werden, und die Einladungen für die Trauerfeier übernehmen. Ich wäre
dafür zuständig, den angemessenen Rahmen für ihren Abschied zu organisieren.
Mein
erster Gedanke war, die Trauerfeier im kleinen Kreis in der Sankt-Josefs-Kirche
in Friesenheim durchzuführen, wo die Eltern geheiratet hatten und wo wir Brüder
getauft worden waren. Vater war mit allem einverstanden. Doch angesichts des
immer größeren Medienrummels vor unserem Haus kamen mir Bedenken. Eine intime
Familienveranstaltung würde es nie und nimmer werden. So reifte in mir der
Gedanke, der Toten eine Abschiedsfeier in größerem Rahmen zu bereiten. Wenn das
Interesse der Öffentlichkeit schon so riesengroß war, dann sollte diese Frau
auch vor den Augen der Öffentlichkeit für ihre Lebensleistung gewürdigt
werden. Ich sprach mit Peter und Vater darüber. Wir waren uns schnell einig,
und Vater nahm sogleich den Telefonhörer in die Hand und rief Anton Schiembach,
den Bischof von Speyer, sowie Kurt Beck, den Ministerpräsidenten von
Rheinland-Pfalz, an. Beide reagierten auf sehr wohltuende, hilfsbereite Art
und Weise. Mir schien es alles andere als selbstverständlich, dass ein katholischer
Bischof sich spontan bereit erklärte, die Beerdigung einer durch Selbstmord
verschiedenen Protestantin im Dom zu Speyer vornehmen zu lassen, dazu auch noch
von einem Priester, der nicht zum Domkapitel gehörte. Es war Vaters persönlicher
Wunsch, dass Erich Ramstetter diese Aufgabe übernahm, ein Pfarrer, mit dem er
noch heute eng befreundet ist. Kurt Beck arrangierte unterdessen, dass ich, als
Beauftragter der Familie, im Polizeipräsidium Ludwigshafen mit dem Einsatzstab
zusammenkommen konnte, der sich mit den unvermeidlichen Sicherheitsfragen rund
um die Feier kümmern sollte.
Unsere
Vorstellung war es, eine im Kern immer noch private Trauerfeier mit der
Möglichkeit zu öffentlicher Anteilnahme zu verbinden. Polizeipräsident Leiners
Aufgabe war es, das mit einer professionellen Raumsicherung zu verbinden. Bald
ging es schon nicht mehr nur darum, die geladenen Persönlichkeiten aus dem
politischen und öffentlichen Leben zu schützen. Binnen Kurzem ging eine Reihe
von Bombendrohungen ein, auch wurden mehrfach öffentliche Selbstmordversuche
während der Trauerfeier angekündigt. Alle handelnden Personen arbeiteten mit
Pragmatismus, Flexibilität und viel Fingerspitzengefühl. Und alles ging gut.
Ja, es
wurde zu einer wahren Hommage an Hannelore Kohl. Tausende Menschen drängten
sich im Dom und auf dem Domvorplatz, um sich von ihr zu verabschieden. Die
Frau, die lange Deutschland repräsentiert und dem Land gedient hatte, die
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