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Kohl, Walter

Kohl, Walter

Titel: Kohl, Walter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leben oder gelebt werden
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Vater zu sein - aktiver Vater -
ist im Zeichen einer schwierigen, konfliktgeladenen Trennung nicht eben leicht,
insbesondere in einer Situation von großer emotionaler Spannung. Es dennoch zu
schaffen, auch gegen den zeitweiligen Willen der Mutter, erfordert ein
gerütteltes Maß an Selbstüberwindung. Kinder wollen, allen emotionalen und
logistischen Hindernissen zum Trotz, ihre Beziehung zu beiden Eltern behalten.
Dass all dies keine Selbstverständlichkeit ist, wissen viele
»Scheidungseltern«. Ein neues Gleichgewicht muss erarbeitet werden. Dieser
Prüfung musste ich mich jetzt stellen und bin glücklich, dass das Band zwischen
ihm und mir in dieser kritischen Zeit nicht zerriss, sondern seither nur immer
fester geknüpft wurde.
    Und dann
gab es ja noch meinen Beruf. Und damit nicht genug: Ich fühlte mich berufen,
mich noch um etwas anderes zu kümmern. Mein Bruder Peter schrieb gemeinsam mit
der Journalistin Dona Kujacinski und unter tätiger Mithilfe seiner Frau Elif
ein Buch über das Leben und Vermächtnis Hannelore Kohls. Ursprünglich sollte
ich neben Peter als Koautor auftreten, doch dann verließ mich der Mut. Oder
soll ich sagen, die Kraft? Vielleicht war da auch eine Instanz in mir, die
rigoros Prioritäten zu setzen begann. So unterstützte ich das Buchprojekt durch
Recherche, Diskussion und Gegenlesen des Manuskripts. Mehr war nicht möglich,
denn schlafen musste ich ja auch noch ein paar Stunden.
    Mein Leben
war also vollständig ausgefüllt, wie aber sah es in mir selbst aus? Ich hatte
mich zum perfekten Assistenten entwickelt, der sein Leben an den Bedürfnissen
anderer ausrichtete. Ich versuchte es allen recht zu machen und bemerkte
nicht, dass ich mich selbst immer mehr zu verlieren begann. Erst langsam ließ
der Druck etwas nach.
    Die Zeit,
die ich mit meinem Sohn verbrachte, waren meine glücklichsten Stunden. Das
Buch über meine Mutter wurde ein großer Erfolg. In Oggersheim entspannte sich
die Lage zunehmend. Somit rückte für mich die berufliche Tätigkeit wieder
stärker in den Mittelpunkt. Doch etwas war anders geworden. Der gewohnte
Kreislauf aus Sitzungen, Beschlüssen, Revisionen der Beschlüsse und so weiter
befriedigte mich überhaupt nicht mehr. Der Winter verging, ein neues Frühjahr
zog herauf, ich hatte viel gearbeitet, aber was hatte ich für mich selbst
erreicht? Ich war hilfreich gewesen, hatte mich nützlich gemacht, hatte bewusst
und aktiv zum Gleichgewicht des familiären Systems beigetragen, das heißt,
vielmehr zu dem, was davon noch übrig war. Erneut empfand ich eine Leere in
meinem Leben. Eine Lösung, um sie zu füllen, sah ich nicht, da war ich hilflos.
Ich verglich mich selbst mit einer Filmkulisse: optisch gut aufgestellt, aber
alles eigentlich nur Fassade. Da war sie wieder, diese innere Leere, und mit
der Zeit konnte ich sie immer weniger ignorieren. In ruhigen Momenten klang
der Widerhall der Frage eines Kindes, meines Sohnes, in mir wider.
    Papa, ist
das Leben schön?
    Eines
Tages aber musste ich herzhaft lachen. In einem Artikel über Franz Josef
Strauß las ich ein mir wohlbekanntes, allerdings in Vergessenheit geratenes
Zitat von ihm:
    Everybody's
darling is everybody's depp.
    Mit
unnachahmlicher Stilsicherheit an der Grenze zwischen Bonmot und Kalauer
brachte FJS damit auf den Punkt, was mein eigenes Problem war. Ich »wurde
gelebt«, anstatt selbst zu leben! Das Gefühl, in Oggersheim immer weniger
gebraucht zu werden, verschaffte mir einerseits Erleichterung, andererseits
verstärkte es das Gefühl der Unruhe und Ziellosigkeit. Emotional fühlte ich
mich nach dem Freitod meiner Mutter hin- und hergeworfen, aber es war mir klar
geworden, dass ich das Vakuum mit den alten Rezepten nie mehr würde füllen
können. Das war zunächst nur schwer zu ertragen, aber doch eine notwendige
Erkenntnis.
    Mein Leben
hatte kein wirkliches Zentrum, um das es kreisen konnte. Ich schweifte darin
umher, auf erratischer Bahn wie ein Komet, der heimatlos durch den Raum fliegt.
In meinem verzweifelten Bemühen, mit dem »Sohn vom Kohl« meinen Frieden zu
finden, verfiel ich von einem Extrem ins andere. Ich begehrte nicht mehr auf,
stattdessen floh ich in die Überanpassung. Ich hatte die Seiten gewechselt,
aber die Regeln des Spiels waren dieselben geblieben. Ich floh nicht mehr vor
dem langen Schatten meines Vaters ins Ausland, stattdessen hatte ich in seinem
Schatten den Assistenten gespielt. Das konnte nicht gutgehen, aus everybody's
darling musste irgendwann everybody's

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