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Kohl, Walter

Kohl, Walter

Titel: Kohl, Walter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leben oder gelebt werden
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ohne
jegliches eigenes Verschulden in der Spendenaffäre so gedemütigt wurde, die
gesundheitlich in verzweifelter Lage gewesen war, ging in Würde heim, begleitet
von den guten Wünschen der Bevölkerung. Im Dom konnte man die ebenso feine wie
machtvolle Qualität dieser Herzenskraft deutlich spüren. Die Sympathie und das
Mitgefühl, die ihrem Schicksal entgegengebracht wurden, gingen mir sehr nahe.
Diese Frau, die 1945 als bettelarmes Flüchtlingskind in die Pfalz gekommen
war, wurde 2001 dort wie eine Königin zu Grabe getragen. Als wir den Dom
verließen, sahen Peter und ich uns an und wussten, dass wir es richtig gemacht
hatten.
 
Der Assistent
 
Durch den Tod meiner Mutter wurde in unsere Familie und in
mein eigenes Leben eine große und tiefe Lücke gerissen. Waren die ersten Tage
nach ihrem Tod noch von Aufgeregtheit und Betriebsamkeit geprägt, so stellte
sich schon bald darauf ein Gefühl der Leere und Orientierungslosigkeit ein.
Nur langsam formte sich die Erkenntnis, dass die bisherige Architektur unserer
Familie unwiederbringlich zerstört worden war. Es war, als ob aus einem Rad die
Nabe herausgebrochen worden war und die Speichen, nur noch lose durch den Außenreifen
miteinander verbunden, quasi in der Luft hingen. Meine Mutter hatte sich immer
als Herz und Mittelpunkt der Familie verstanden und es als ihre Aufgabe
begriffen, alle und alles zusammenzuhalten. Mit ihrem Tod fiel dieses Zentrum
weg, eine Neuorientierung des gesamten Systems war unumgänglich geworden.
    Zunächst
war ihr Abschiedsbrief an mich meine wertvollste Orientierungshilfe. Ich trug
immer eine Kopie bei mir. Damals glaubte ich, dass dieser handschriftliche
Brief ihren letzten und vielleicht wichtigsten Auftrag an mich darstellte.
Ihre Botschaft bestand aus drei Teilen: Sie bat mich um Verständnis für ihre
Entscheidung; sie wünschte sich, dass wir drei Hinterbliebenen uns immer gut
verstehen würden; und sie forderte mich schließlich nachdrücklich auf, mich um
den Vater zu kümmern. Ich verstand sofort, was sie damit meinte:
    In über 40
Ehejahren hatte sie ihren Mann genau kennengelernt und wusste um seine
Schwächen in der Bewältigung des praktischen Alltags. Immer hatten die Eltern
mit klaren Aufgabenverteilungen untereinander gelebt: Helmut machte Politik,
und Hannelore kümmerte sich um den Haushalt, die wirtschaftliche Seite und
natürlich um die Kinder. So interpretierte sie ihre Rolle als die Frau an
seiner Seite.
    Mutter war
stets eine überaus tüchtige Familienmanagerin gewesen. Sie allein hatte sich um
alle Belange des Wirtschaftens, des Wohnens, der Lebensfürsorge und der
Alltagslogistik gekümmert. Mein Vater hingegen lebte schon immer, und nach all
den Jahren in höchsten politischen Führungspositionen umso mehr, gleichsam dem
Familienalltag entrückt. Ob es verwaltende Aufgaben wie Abrechnungen,
Bankangelegenheiten oder Versicherungen waren, ob es um organisatorische
Verrichtungen ging wie Handwerkertermine, die Reparatur der Spülmaschine und
der TÜV-Termin für das Auto, oder zwischenmenschliche Bereiche wie unsere
Erziehung: All das waren Themen, die keine Priorität für ihn hatten.
    Solange
ich mich zurückerinnern kann, war diese Haltung typisch für meinen Vater.
Einmal erlitten wir in den 1980er-Jahren nach einem heftigen Sommergewitter
einen kapitalen Wasserschaden. Der Keller war teilweise fast eineinhalb Meter
hoch geflutet, Möbel und Bücher schwammen in der trüben Brühe, die Wände waren
bis hinauf zur Decke völlig durchnässt, die Elektrik ruiniert, und die
Heizungsanlage schien den Geist aufgegeben zu haben. Auf gut Pfälzisch »ein
einziger Saustall« also. Mutter war völlig entsetzt und mobilisierte sofort
ihre Hilfstruppen. Unter ihrer Führung wurde der Keller ausgeräumt, wurden die
Handwerker organisiert und alles in kürzestmöglicher Zeit wieder in Ordnung
gebracht.
    Sie
bestellte die Gutachter und setzte eine angemessene Schadensregelung bei der
Versicherung durch. Vater hingegen nahm von dieser Situation lediglich
Kenntnis, auch das allerdings nur telefonisch, und kümmerte sich anschließend
um nichts. Als er am nächsten Wochenende nach Oggersheim kam, fühlte er sich
schlicht und ergreifend als nicht betroffen von diesem Thema. Ich mochte mich
damit nicht zufriedengeben und wollte von ihm wissen, wie er den Wasserschaden
einschätzte. Ich bekam nur eine grummelige, vage Antwort. Ich insistierte, und
schließlich musste er zugeben, dass er nur ein einziges Mal kurz

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