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Kohl, Walter

Kohl, Walter

Titel: Kohl, Walter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leben oder gelebt werden
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versuchten uns gegenseitig in die Pfanne zu hauen.
    »Der Peter
hat ...«
    »Der Walter
hat aber ...«
    Ein
einziger Blick brachte unser kleinliches Nachkarten zum Erliegen. Mit
feuerroten Köpfen zogen wir »Forelle« an Land. Dies war, nebenbei gesagt,
bereits wieder unsere erste gemeinsame Aktion seit der Eskalation des Streits
und natürlich eine unmittelbare Folge der nunmehr fühlbaren Präsenz einer
unbestechlichen Gerichtsbarkeit. Mit dürren Worten wurden wir ins Bootshaus
befohlen und zu Ursachen und Hergang des Konflikts befragt. Hinter
verschlossenen Türen aber verpuffte jeder noch so zarte Ansatz zu gutem Willen
bei uns beiden schon wieder. Walter zeigte mit dem Finger auf Peter, und Peter
zeigte mit dem Finger auf Walter, mit der ganzen Emphase zweier aufgepumpter
kindlicher Egos. Wo die direkte Auseinandersetzung aufgrund des Eingreifens
der Ordnungsmacht nicht mehr möglich ist, macht man sich gern gegenseitig das
Leben ein bisschen schwer, in der vagen Hoffnung, dass es dadurch für einen
selbst ein bisschen leichter wird. Da waren wir bei unserer Mutter allerdings
an der falschen Adresse.
    Wer selbst
Kinder erzieht, weiß aus eigener Erfahrung, auch wenn er sich darüber nicht
Rechenschaft ablegt, dass in einer Situation wie dieser nichts zieht, außer man
erreicht die Gefühle des Kindes. Es scheint dann in den Augen vieler Erziehungsberechtigter
das einfachste und mutmaßlich wirkungsvollste Mittel zu sein, eine Strafe
auszusprechen. Wer straft, vertraut auf die heilsame Wirkung, die dem Schmerz
auf die Einsichtsfähigkeit des Menschen unterstellt wird. »Es muss wehtun,
sonst bringt's nichts«, ist die oberste Maxime des zugehörigen
Erziehungsstils, ob dies nun offen ausgesprochen wird oder nicht. Natürlich ist
Schmerz ein starkes Signal, auch ein notwendiges, was die Kommunikation
zwischen Körper und Psyche angeht - aber Schmerz als pädagogische Botschaft?
Ich möchte es hier bei dieser Frage belassen, da dies kein Anlass für
Empfehlungen und Ratschläge ist, sondern eine Erzählung einer wahren
Begebenheit, die für sich sprechen soll.
    Mutter
ließ uns gewähren, bis wir mit unseren gegenseitigen Anklagen von allein
innehielten. Dies nicht etwa, weil wir etwas eingesehen hätten. Sondern allein
schon deshalb, weil wir aus Erfahrung wussten, dass wir damit das Urteil des Hohen
Gerichts doch niemals würden abwenden können. Und dann zeigte sie uns den Weg
der Versöhnung.
»So, und nun vertragt euch wieder, macht jetzt Frieden!«
    Das war
alles. Ich weiß es noch genau, habe diesen Satz noch so im Ohr, als sei er erst
gestern gesprochen. Mutter fragte nicht nach Schuld, sie forschte nicht nach, wer
angefangen und wer weitergemacht hatte. Sie hatte nur kurz geprüft, dass wir
beide nicht ernsthaft verletzt waren, und das genügte ihr. Blaue Flecken,
Schürfwunden, kleine Schnitte wurden wieder einmal ignoriert, nicht aus
Gleichgültigkeit, sondern aus einer Einstellung, ich möchte sagen:
pragmatischen Verzeihens heraus. Ihre Antwort auf unseren Streit war nicht die
Strafe. Sie suchte erst gar nicht nach »Gerechtigkeit«, es fand keine
kleinliche Untersuchung der Vorkommnisse, keine Erbsenzählerei statt. Sie
forderte uns schlicht zum Frieden auf. Sie nahm uns nicht einmal das
Schlauchboot weg, was natürlich unsere größte Angst war. Wir wussten, wie
streng sie sein konnte. Aber wenn sie uns ins Herz treffen wollte, war ihre
stärkste Waffe, in unserem eigenen Interesse, eine andere.
    Es war
sonnenklar, auch ohne viele Worte, nach dem nächsten Streit würde das
Schlauchboot weg sein, vielleicht sogar für die ganzen restlichen Ferien.
Dieses Risiko erhöhte unsere Bereitschaft, den von oben herab verkündeten Waffenstillstand
nicht zu brechen, erheblich. Die Drohkulisse half, Übergriffe für beide Seiten
so wenig einladend wie möglich zu machen. Damit wurde Raum dafür geschaffen,
die gemeinsame Erfahrung zu machen, dass es sehr wohl Möglichkeiten der
Einigung und der friedlichen Kooperation gibt, wenn man nur seinen Schatten
überspringen kann. Und siehe da: Wir machten die erwünschten Erfahrungen. Wir
begriffen, dass jeder Streit um das Objekt unserer jeweiligen Begierde letztlich
sinnlos war. Uns dämmerte, dass es ja viel besser war, gemeinsam auf
Abenteuerreise zu gehen. Waren nicht zwei mutige Piraten besser als einer, um
all die Abenteuer zu bestehen, die bei der Eroberung unseres Seewinkels vor uns
lagen? Schließlich mussten wir jederzeit in der Lage sein, »Forelle«

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