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Kohl, Walter

Kohl, Walter

Titel: Kohl, Walter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leben oder gelebt werden
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scheint,
der See lockt. Nur: Wer von uns beiden kriegt »Forelle«? Exklusiv, versteht
sich. Endlich einmal. Einige Tage lang schon hatten wir uns, unter den
gestrengen Blicken unserer Mutter, dazu bequemt, gemeinsam in See zu stechen.
»Forelle« trug lässig uns beide, und das Vertrauen unserer Mutter in unsere
Sicherheit und Kooperationsbereitschaft war gewachsen. Zum ersten Mal waren
wir nun nicht mehr unter ihrer Aufsicht.
    »Forelle«
war unser ganzer Stolz. Schnittig wie ein Kanu, folgsam wie ein gut
zugerittener Mustang. Sehr einladend für einen Abstecher ins Unbekannte, in
lockende Abenteuer entlang des Seeufers. Wie überaus nervig, dass wir den Auftrag
hatten, uns stets in Rufweite unserer Mutter zu halten. Wo doch unsere
Abenteuerfantasien nur so ins Kraut schossen - im Kopfkino zweier Knaben gaben
sich tollkühne Piraten und Winnetous edle Apatschenkrieger ungezwungen ein
Stelldichein für tolle Kämpfe.
    »Forelle«
war für Peter und Walter auf einmal mehr als ein Spielzeug. Es war ein Symbol.
Ein Hebel, um in Gefilde vorzustoßen, von denen kleine Jungs eben gern
träumen. Wo jeder für sich unumschränkt der Größte sein will. Ob Allmachtsfantasien
Erwachsene heimsuchen oder Kinder, immer entfachen sie eine gewisse Neigung zur
Bedenkenlosigkeit. Peter und ich, Blutsbrüder in jedem Sinne des Wortes, waren
wie vom Hafer gestochen. Wir gerieten aneinander wie zwei geschworene Feinde.
    Schon eine
ganze Zeit hatten wir uns gegenseitig belauert, aus den Augenwinkeln heraus
unablässig das Ufer musternd. Außer dem drückenden Gefühl, doch noch unter dem
Schirm mütterlicher Aufmerksamkeit zu weilen, war da eigentlich nichts mehr,
das uns vom ultimativen Kräftemessen abhielt. Die Tatsache, dass der
Wolfgangsee an diesem Uferabschnitt recht steil abfällt und 30 Meter vom Ufer
weg schon über fünf Meter tief ist, hatten wir dagegen bereits aus dem Bewusstsein
verdrängt. »Forelle« schaukelte nervös. Was bei uns jene Reizempfindlichkeit,
die einem guten Kampf vorausgeht, nur erhöhte. War es also Absicht oder ein
Versehen? Oder eben einfach unvermeidlich? Einerlei: Wenn die Lunte schon
gelegt ist, wer würde am Ende verlässlich sagen können, wer das Streichholz
drangehalten hat? Ich weiß es wirklich nicht, ob mein Bruder über Bord ging,
weil er sich nicht kräftig genug festgehalten hatte, oder ob ich - im
Einvernehmen mit der schwankenden »Forelle« - durch gezielte Verlagerung des
Schwerpunktes nachgeholfen hatte. Als er sich wutschnaubend wieder an Bord
ziehen wollte, hatte ich bereits Gefallen an meiner übergeordneten Position
gefunden und beförderte ihn relativ mühelos wieder zurück ins kühle Nass.
Dieses Spielchen wiederholte sich mehrmals, was mir zwar wachsendes Vergnügen
bereitete, meinem jüngeren Bruder jedoch verständlicherweise umso größeren
Verdruss.
    Es konnte
natürlich nicht endlos so weitergehen, zumal unser Kräftemessen nicht gerade
geräuschlos vonstatten ging. Es war nur eine Frage der Zeit, bis uns das finale
Stoppzeichen vom Ufer ereilen würde. Als Älterer und Kräftigerer hatte ich
beste Aussichten, die Oberhand zu behalten. Also ließ ich Peter scheinbar
großmütig die Bordwand übersteigen, in der Hoffnung, er würde mich künftig als
Souverän über »Forelle« anerkennen. Doch da hatte ich die Rechnung ohne den
Wirt gemacht. Mein jüngerer Bruder tat etwas, das ich bis heute als eine seiner
stärksten Qualitäten ansehe: Er wehrte sich. Und weil er sich einer überlegenen
Gewalt gegenübersah, die ihm vermeintliches Unrecht zufügte, ließ er sich nicht
lumpen. Er zog mir kurzerhand mit dem Holzpaddel eins über. Die Waffe ging
dabei zu Bruch, das Opfer blieb im Prinzip unversehrt, bis auf einen dicken
blauen Fleck und eine Schürfwunde auf dem Rücken.
    In diesem
Moment wurde unserem Gummibootkrieg durch die einzig verbliebene familiäre
Supermacht ein Ende gesetzt. Mutter erschien am Bootssteg und übernahm das
Kommando, und das mit jener Mischung aus Nachdruck und Diskretion, die für
ihren Erziehungsstil charakteristisch war.
»Walter! Peter!«
    Das waren
die einzigen lauten Worte, die wir vernahmen. Gerade so laut wie erforderlich,
um unsere Aufmerksamkeit zu erlangen und uns augenblicklich zu Salzsäulen
erstarren zu lassen. Mit bloßen Händen - das Ruder war ja entzwei - paddelten
wir zum Steg zurück. Währenddessen verlagerte sich unsere Auseinandersetzung
auf die Ebene der Selbstlegitimation gegenüber der Ordnungsmacht. Mit anderen Worten:
Wir

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