Kohlenstaub (German Edition)
wollen als
im Westpark. Weiter nördlich ist übrigens das Tremoniagelände. Recht
verwildert, ganz romantisch. Da haben wir früher unsere Mädchen hingeführt.
Dort gibt es noch Reste der alten Eisenbahnschienen und sogar noch einen Bunker
aus dem Zweiten Weltkrieg.« Er blieb vor einer Bank stehen. »Aber das ist kein
Ort für eine junge Dame. Zu gefährlich.« Er nahm Platz. »Setzen Sie sich. Und
dann erzählen Sie mal.«
»Es gibt nichts zu
erzählen. Dieser Zettel lag in einem Umschlag vor meiner Wohnungstür. Gestern
Vormittag.«
»Waren Sie bei der
Polizei?«
»Bisher nicht.«
Luschinski begann
zu grinsen. »Kellmann würde einen Anfall kriegen. Falls auf diesem Papier
jemals Fingerabdrücke zu erkennen waren, dann sind sie jetzt verwischt. Genauso
wie die Spuren in Hannings Keller.«
Ich wickelte mich
fester in meinen neuen Diolen-Loft-Mantel. Trotz des Sonnenscheins war es kühl.
»Nur mal so aus Neugier: Waren denn in Hannings Wohnung keine Fingerabdrücke,
die einen Hinweis auf den Täter liefern könnten?«
Luschinski
erwiderte: »Alles war voller Abdrücke, Treppengeländer, Tür, Möbel. Doch was
nützt das? Die Wohnung war so öffentlich wie eine Bahnhofshalle. Die Jankewicz
hatten einen Schlüssel, Schwester Käthe auch. Den hat sie ständig verlegt,
sodass Hinz und Kunz hereinkonnten. Zwischendurch kam immer noch mal jemand von
den Rabenaus vorbei, Lena oder auch mal Rabenau selbst, manchmal mit Detlef …
wegen Hannings Mutter. Die konnte ja nicht alleine bleiben. Und von diesen
Nachbarn stammten auch die Fingerabdrücke.«
»Hat man auch
Spuren von Jankewicz gefunden?«
»Sie glauben, dass
ich alles weiß, oder?«
»Doch zumindest
das meiste! Irgendjemand bei der Polizei geht wohl öfter mal einen mit Ihnen
trinken. Und wahrscheinlich ist es nicht Kellmann.«
Er bestritt das
nicht, sondern zwinkerte. »Selbst wenn man Abdrücke und Spuren gefunden hat,
beweist das nichts. Der Mann holte manchmal seine Frau ab …«
»Wusste er von dem
Verhältnis mit Hanning?«
»Keine Ahnung.
Manchmal erledigte er auch etwas, schippte Kohlen …«
»… er kannte also
den Heizkeller wie seine Westentasche. Wo wohnen Sie eigentlich, Herr
Luschinski? Doch sicher auch in der Siedlung?«
»Im
Schlesierviertel.«
»Ich habe Sie noch
nie im Gottesdienst gesehen.«
Er verschränkte
die Hände hinter dem Kopf. »Ich bin kein besonders gläubiger Mensch. – Fräulein
Gerlach?«
»Ja?« Es war das
erste Mal, dass er mich beim Namen nannte.
»Warum sind Sie
eigentlich am letzten Sonntag abgehauen, sobald der Arzt kam, und haben den
weiteren Gang der Dinge nicht abgewartet?«
Weil ich den
Geruch von Fäulnis und Verwesung nicht ertrage, wäre die ehrliche Antwort
gewesen. Das Aroma des Todes hatte ich einmal im Leben zu intensiv gekostet.
Doch was ging das diesen Reporter an?
Wir schwiegen.
»Ich würde den
Brief nicht auf die leichte Schulter nehmen«, sagte er dann. »Wohnen Sie
allein?«
»Ja, leider.«
»Nicht
verheiratet?«
»Ich darf nicht
heiraten. Vielmehr, dann müsste ich meinen Beruf aufgeben. Als amtierende
Pastorin muss ich ledig bleiben!«
»Wo steht denn
dieser Quatsch?«
»In einem
Kirchengesetz.«
»Schade drum. Ein
schönes Mädchen wie Sie …«
Er strich mir
sanft über den Rücken. Es fühlte sich gut an.
Ich nahm all
meinen Mut zusammen. »Und Sie? Sind Sie verheiratet?«
»Mit meinem Beruf.
Ich bin ständig unterwegs. Das macht keine Frau lange mit.« Er streckte die
Beine aus. »Aber bei mir ist das was anderes. Ich bin schließlich ein Mann. Bei
Ihnen geht es um die Sicherheit. Und Jankewicz ist kein angenehmer Zeitgenosse.
Obwohl dieser Brief nicht seine Handschrift trägt.«
»Ich weiß.«
»Wir beide werden
herausfinden, auf wessen Schreibmaschine der Wisch getippt wurde.«
Er legte mir kurz
den Arm um die Schulter. Dann drehte er sich um und ging.
NEUN
»Jesus ist kommen,
nun springen die Bande. Stricke des Todes, die reißen entzwei«, sang die
Gemeinde. Die Posaunen setzten zum Finale an. »Fühlst du den Stärkeren, Satan,
du Böser? Jesus ist kommen, der starke Erlöser!«
Ich bezog Stellung
am Rednerpult und blickte hinab auf die Trauergemeinde.
»Das Böse«, begann
ich, »kommt nicht in Gestalt des Teufels, des Satans, wie wir ihn uns
vorstellen, mit Hörnern und einem Pferdefuß. Das Böse trägt allzu oft ein
menschliches Gesicht. Es kann, genauso wie das Gute, Menschen mit Beschlag
belegen und sie prägen. Alle Menschen. Auch die, die uns
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