Kohlenstaub (German Edition)
Verwandtschaft?«
Kaminski nickte,
und sein schnurgerader Mittelscheitel glänzte im Lampenlicht. »Allerdings noch
nicht lange. Vor ein paar Wochen habe ich ihn aufgesucht. Bei diesem Anlass
erklärte ich ihm, dass ich sein Bruder bin. Er war sehr überrascht.«
»Wusste er nichts
von Ihrer Existenz?«
»Er vermutete mich
in einer anderen Stadt.«
»Haben Sie wegen
Ihres Bruders die Stelle in Dortmund angenommen?«
»Ich habe bereits
hier studiert«, sagte er leise. »An der Pädagogischen Hochschule. Dann wurde
die Stelle an der Schule frei …«
»Ausgerechnet in
der Kirchengemeinde Ihres Bruders?«
Die Kellnerin
brachte Kaffee und die Tortenstücke. Kaminski wartete, bis sie sich wieder
entfernt hatte.
»Mein Gespräch mit
Hans verlief leider nicht harmonisch.«
Ich pickte mit der
Gabel ein Stück Banane von dem Obstkuchen, für den ich mich entschieden hatte.
»Wann haben Sie miteinander geredet?«
»Kurz vor Ostern.«
»Und warum haben
Sie sich erst so spät dazu entschlossen?«
Kaminski rührte
verlegen mit dem Löffel in seiner Tasse. »Können Sie sich vorstellen, wie das
ist, als Bastard bezeichnet zu werden? Wenn Sie aus einem intakten Elternhaus
kommen, können Sie froh sein.«
Nun war es an mir,
in der Tasse zu rühren.
»Ich wollte gerne,
dass er mich anerkennt. Vielleicht sogar öffentlich. Ich meine, so etwas ist
doch heutzutage keine Schande mehr. Viele Ehen halten nicht.«
»Eine sehr moderne
Einstellung. Ihr Stiefbruder sah das anders, nehme ich an.«
Kaminski senkte
den Blick. »Er wollte sich nicht zu mir bekennen. Jedenfalls jetzt noch nicht.
Darum ging es bei unserem Streit. Er sagte, vielleicht später, wenn alles
geklärt sei.«
»Was denn
geklärt?«, fragte ich erstaunt.
»Bei ihm bahne
sich eine Veränderung an, meinte er. Vielleicht werde er die Gemeinde
verlassen. Er wollte mir jedoch nicht sagen, warum!«
Beinahe hätte ich
mich an der Banane verschluckt. »Dann stimmt es also doch!«
»Was denn,
Fräulein Gerlach?« Kaminski schob den Kuchenteller von sich. Ihm war
offensichtlich der Appetit vergangen.
»Dass er ein
Verhältnis hatte und es legalisieren wollte.«
»Und deswegen
wollte er die Gemeinde verlassen?«
Ich schenkte
Kaffee aus dem Kännchen nach. »Gerüchteweise hörte ich, die Frau sei
verheiratet.«
»Fräulein Gerlach! De mortuis nihil nisi bene! «, rief der Lehrer.
Ȇber die Toten
nichts als Gutes«, übersetzte ich. »Ihr Stiefbruder muss also doch seine
Einstellung zur Ehe geändert haben. Doch nun zu Ihrem Fall. Es wäre besser,
wenn Sie die Polizei informieren, bevor man Sie verdächtigt.«
Der Lehrer blickte
auf die Tischdecke. »Also stimmt es, was man sagt? Mein Bruder ist nicht an
einem Unfall gestorben. Jemand hat nachgeholfen?«
Ich zuckte mit den
Schultern. »Vielleicht wollte dieser Jemand nicht, dass Ihr Stiefbruder die
Gemeinde verlässt? Dass er mit einer verheirateten Frau verbunden ist …«
Dann fiel es mir
siedend heiß ein. Kaminski war heute Morgen ebenfalls nicht im Gottesdienst
gewesen. Und als Lehrer besaß er bestimmt eine Schreibmaschine. Aber warum
hatte er mir dann von dem Konflikt erzählt? Und welches Motiv hätte er, seinen
Bruder umzubringen? Ein Streit reichte kaum aus. Außerdem war es unlogisch.
Kaminski wollte ja, dass Hanning sich zu ihm bekannte. Das war nun nicht mehr
möglich.
»Sie stehen doch
unter Schweigepflicht, Fräulein Gerlach? Ich hätte ungern, dass meine
Familienverhältnisse öffentlich werden. Nach dem Tod meines Bruders ist das
nicht mehr nötig, finde ich.«
»Warum haben Sie
mir dann überhaupt davon erzählt?«
»Ich musste mit
jemand darüber reden«, versicherte er ernsthaft. »Zu Ihnen habe ich Vertrauen,
Fräulein Gerlach.«
Er gab der
Kellnerin das Zeichen für die Rechnung.
»Ein Männlein
steht im Walde«, krächzte Blecky noch schräger als zuvor.
Draußen regnete es
Bindfäden.
»Sieht mir nach
einem modernen Modell aus«, erklärte Luschinski und drehte den anonymen Brief
in seinen Händen. »Könnte mit einer IBM -Kugelkopf-Maschine
geschrieben worden sein!«
Über Nacht hatten
sich die Wolken verzogen, und die Sonne war herausgekommen. Ich hatte
Luschinski telefonisch in der Redaktion erreicht. Wenig später trafen wir uns
in der Schrebergartenanlage Tremonia.
»Hübsch, die
kleinen Gärten mit den Lauben«, sagte ich.
»Waren Sie noch
nie hier?«
Ich schüttelte den
Kopf.
»Ist gar nicht so
weit von Ihrem Haus entfernt. Wenn Sie mal woanders spazieren gehen
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