Kohlenstaub (German Edition)
zu tun ist, Fräulein
Gerlach. Haben Sie eigentlich die Predigt für morgen schon vorbereitet?« Der
Duft nach gekochtem Fleisch mischte sich mit dem Rauch von Kellmanns Zigarette.
»Gibt es Essen?«
Schwester Käthe
tauchte aus der Küche auf. »Eintopf. Erbsensuppe. Sie können nachher auch einen
Teller voll bekommen, Schwester Gerlach, wenn sie fertig ist. Aber erst sagen
Sie der Lena mal Bescheid, dass ihr Vater verhaftet ist.«
NEUNZEHN
Frau Rabenaus
kurzer Ausflug in die Welt der Normalen war bereits beendet. Als ich kurz nach
dem Mittagsläuten erneut die Wohnung des Dachdeckermeisters betrat, lag sie im
Bett und glich wieder der alten, lebensmüden Frau, die ich kannte.
Lena war in der
Küche mit dem Sonntagsbraten beschäftigt und wurde leichenblass, nachdem sie
meinen Bericht gehört hatte. »Vater? Schuld an Hannings Tod?«, fragte sie
bestürzt. Sie wischte sich die Hände am Geschirrtuch ab. »Wie kann das sein? Er
könnte keiner Fliege etwas zuleide tun.«
Ich dachte an
seinen Übergriff morgens in der Werkstatt. Menschen taten ungewöhnliche Dinge,
wenn die Nerven blank lagen. Das Mädchen hatte es schwer. Ich ersparte mir
einen Kommentar.
»Was wird aus
Mutter, wenn Vater einsitzt? Wer kümmert sich um sie? Wer bringt das Geld nach
Hause?«
Hilflos schüttelte
ich den Kopf.
»Dann kann ich auf
keinen Fall weiterstudieren«, fasste Lena ihre düsteren Zukunftsaussichten
zusammen.
»Möglicherweise
nicht«, bestätigte ich vorsichtig. »Aber wer bezahlt denn jetzt dein Studium?
Dein Vater ist dagegen, oder nicht? Er zahlt es doch nicht?«
Lena schwieg.
»Lena? Welches
Geheimnis hast du mit Hanning geteilt?«
»Ach, nichts
Besonderes.«
Die roten Locken fielen
vornüber, sodass ich ihren Gesichtsausdruck nicht erkennen konnte.
»Hattet ihr nicht
einen Hund?«, versuchte ich es mit einem anderen Thema. »Neulich saß er hier
unter dem Tisch.«
»Flocki ist mit
Detlef raus.«
»Etwa Manni
suchen?«
»Flocki hat Angst
vor seinem eigenen Schatten. Der kann nicht beim Suchen helfen. Auch sonst ist
er nicht sehr nützlich.« Die Sommersprossen um die Nase herum tanzten, als sich
die Mundwinkel nach oben zogen. Einer ihrer seltenen Scherze.
»Hat dir Hanning
Geld hinterlassen, damit du studieren kannst?«, versuchte ich es erneut.
Lena seufzte. »Er
hat mir ein Sparkonto eingerichtet. Ich wäre so begabt, meinte er, wäre schade,
wenn ich nicht studieren würde. Wenn ich wollte, könnte ich das Geld später
zurückzahlen. Oder jemand anders unterstützen.«
»Hat er keine
Gegenleistung verlangt?«
»Nicht das, was
Sie jetzt vielleicht denken.« Nun schaute sie mich mit ihren blaugrauen Augen
direkt an. Ihre Sommersprossen zogen sich zusammen, als sie die Stirn runzelte.
»Was hat er
stattdessen von dir erwartet?«
Kurzes Zögern.
»Ich habe ihn gesehen. Mit Frau Jankewicz. Als ich einmal in das Pfarrhaus kam,
um nach der alten Mutter zu sehen, saßen sie zusammen auf dem Sofa.«
»Sie saßen auf der
Couch? Das ist alles?«
»Er hielt ihre Hand
und hatte den Arm um sie gelegt.«
»Das erscheint mir
eigenartig. Hanning wusste doch, dass du einen Schlüssel hast. Und Schwester
Käthe auch.«
»Da hat er wohl
nicht daran gedacht in dem Moment.«
»Wie lange ist das
her?«
Sie zuckte mit den
Schultern. »Vielleicht ein Jahr? Es muss kurz nach meinem Abitur gewesen sein.
Frau Jankewicz hatte gerade in Hannings Haushalt angefangen.«
Dann fügte sie
leise hinzu: »Er hat Angst gehabt. Vor dem, was kommt. Vor dem Gerede der
Leute. Er brauchte jemanden zum Sprechen.«
»Und das warst du?
Obwohl du erst – wie alt bist du?«
»Im Juni werde ich
einundzwanzig.«
Lena wirkte reif
für ihr Alter, bestimmt auch, weil sie sehr früh hatte Verantwortung übernehmen
müssen.
»Möchtest du
einmal heiraten, Lena?«, fragte ich.
»Ich weiß nicht«,
erwiderte sie leise. »Ich sollte wohl besser keine Kinder bekommen. Wegen
Mutters Krankheit. Sie könnte sich vererben.«
Vor der
Wohnungstür kläffte ein Hund.
»Detlef kommt mit
Flocki«, stellte Lena fest, erleichtert über die Unterbrechung.
Wenig später
betrat ihr Bruder den Raum, seine Promenadenmischung an der Leine. Sein
Gesichtsausdruck wirkte fast noch mürrischer als sonst. »Tach auch.«
»Detlef, wo warst
du?«, fragte Lena.
»Geht dich nichts
an. Gibt’s was zu essen?« Er öffnete den Kühlschrank und entnahm ihm eine
Scheibe Wurst, die er sich ohne Brot in den Mund steckte.
»Vater ist
verhaftet worden.«
»Hab schon
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