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Kokoschanskys Freitag

Kokoschanskys Freitag

Titel: Kokoschanskys Freitag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günther Zäuner
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Gaffer mischen.“
    Kokoschansky sieht sich um, Chaos und Panik überall. Blutüberströmte, taumelnde Frauen und Männer; Schwerverletzte, die am Boden liegen, sitzen oder an den Wänden lehnen. Das komplette U-Bahn-Netz ist zusam mengebrochen und gesperrt. Pausenlos werden Anweisungen über Laut­ sprecher durchgegeben, die jedoch in dem Wirbel niemand versteht. Durch die Wucht der Detonation oder was immer der Auslöser für dieses Unglüc k war, haben sich Teile der Decken- und Wandverkleidung gelöst, Kabel­ str änge hängen lose herab, Funken sprühen.
    Eine Hand greift nach Kokoschanskys Bein. Er kniet sich neben den Mann, der fürchterlich zugerichtet ist.
    „Hilfe“, stammelt der kaum Dreißigjährige, „bitte helfen Sie mir.“ Sein Gesicht ist blutüberströmt, er ringt nach Luft. „Bitte“, röchelt er.
    Kokoschansky reißt ihm Jacke und Hemd auf, um ihm das Atmen etwas zu erleichtern. Er trägt ein goldfarbenes Medaillon in der Größe einer Zwei- Euro-Münze um den Hals.
    „Besser?“, fragt Kokoschansky, erhält aber keine Antwort, da der Verletzte das Bewusstsein verloren hat. Er beugt sich tiefer, legt ihm die Hand auf die Brust um zu fühlen, ob der Mann noch atmet. Er lebt noch. Als er wieder seine Hand wegziehen will, bleibt der blutbefleckte Anhänger an der Innenfläche seiner Hand kleben. Das dünne Kettchen ist gerissen. Koko ­schansky löst den Schmuck von seiner Hand und liest auf der Rückseite: 1 8 19 8 . Blitzschnell seine Reflexhandlung, er schließt die Faust, ein kurzer Blick, niemand bemerkt etwas, das Medaillon verschwindet in seiner Jackentasche. Der Verletzte ist noch immer bewusstlos. Vorsichtig und dabei auf der Hut, nicht beobachtet zu werden, tastet Kokoschansky behutsam den Oberkörper des Mannes ab. In der Innentasche des Blousons erfühlt seine Hand, was er sucht. Ein rascher Griff, die Brieftasche wechselt den Besitzer in der Hoffnung, dass sich darin auch ein Ausweis findet. Niemand merkt es. Kokoschansky hält einen Rettungssanitäter auf.
    „Meinem Freund geht es dreckig“, lügt er. „Bitte tun Sie etwas.“
    Dem Helfer genügt ein kurzer Blick, er sieht sofort was mit dem Mann los ist. Über Funk fordert er eine Trage an.
    „Wohin bringen Sie ihn?“, fragt Kokoschansky.
    „Weiß ich nicht. In irgendein Krankenhaus wo noch Betten frei sind. Fahren Sie mit?“
    „Nein, ich muss noch einen weiteren Freund suchen. Wir waren zu dritt unterwegs.“
    ***
    „Welchen Weg nimmst du denn zur Westautobahn?“, fragt Sonja irritiert ihren Freund.
    „Ach, das hatte ich ganz vergessen. Ich muss einem Kollegen noch ein paar Unterlagen vorbeibringen. Dauert nicht lange.“
    Im Fond des Mercedes sitzt der Kleine in seinem Kindersitz, hält sein Plüschkrokodil fest, das ihm sein Vater im Tiergarten geschenkt hat.
    „Welche Unterlagen?“
    „Mein Kumpel will unbedingt den privaten Pilotenschein machen“, ant ­ wortet Ritzler. „Ich hatte das auch einmal vor. Das Lehrmaterial hatte ich noch.“
    Komisch, denkt sich Sonja, ausgerechnet heute? Mir soll es recht sein.
    Der Verkehrsfunk reißt sie aus ihren Gedanken. Das Unglück in der U-Bahn-Station Stephansplatz der Linie U 1 wird bekannt gegeben. Man spricht von einem Bombenanschlag, durch einen oder mehrere Attentäter. Genaueres weiß man noch nicht. Die Bevölkerung wird zum Blutspenden aufgerufen. Sämtliche verfügbare Ärzte und ärztliches Personal sollen sich umgehend in ihren Krankenhäusern einfinden.
    „Was nun?“, will Sonja wissen.
    „Umkehren, was sonst?“
    „Ade, schönes Tirol“, seufzt sie.
    „Mama, wohin fahren wir?“
    „Mein Schatz, leider wieder nach Hause. Andi und ich müssen dringend arbeiten.“
    „Und ich?“
    Der Junge versteht die Welt nicht mehr und weiß nicht, ob er sich nun freuen oder weinen soll.
    „Wir bringen dich in den Kindergarten“, erklärt Andreas Ritzler. „Nach Tirol fahren wir ein anderes Mal.“
    ***
    Kokoschansky gibt auf. Es hat überhaupt keinen Sinn sich hier noch länger aufzuhalten. Inzwischen ist an der Unglücksstelle ausreichend qualifiziertes Hilfspersonal für die Versorgung der Verletzten eingetroffen. Er kämpft sich wieder ans Tageslicht durch. Der Stephansplatz ist großräumig abgesperrt . Überall Polizei, Rettungswagen, Feuerwehr, private Sanitätsdienste. Es wimm elt von Uniformen, zivilen Kriminalbeamten, Entschärfungsspezialisten in ihren Schutzanzügen, Hundeführern, Sanitätern und Rettungsärzten.
    Kokoschansky hat auf Lenas Rat

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