Koks und Karneval
Wettkampf mit den Clowns knapp, aber verdient gewonnen.
Er wartete.
Und wartete.
Die Zeit verstrich, doch der Bierteufel tauchte nicht wieder auf.
»Sagen Sie, Heppekausen«, sagte Röhrich mit beginnender Nervosität, »der Teufel, der wieder losgegangen ist, um Bier zu holen – das war doch derselbe Teufel, der davor auch Bier geholt hat, oder?«
»Enä, dä wor ene janze Kopp jrößer. Un dä es met Heizefeiz us dr Hus jerannt un üvver die Stroß jerannt un öms Eck jerannt un …« Heppekausen verstummte. Seine Augen wurden groß. »Öm Joddes welle! Dä Düvel wor doch nit …? Öm Joddes welle!«
»Heppekausen«, erklärte ihm Röhrich in ruhigem, fast väterlichem Tonfall, »Heppekausen, Sie sind die größte Flasche vor dem Herrn. Und wenn es stimmt, was ich denke, dann sind wir beide erledigt.«
Er ging zur Tür, riß sie auf, zerrte die Pappnase aus der Tasche, die er wie jeder echte Kölner im Karneval immer bei sich trug, setzte sie auf und verließ den Bauwagen. Mit dem Gesichtsausdruck eines Mannes auf dem Weg zu seiner Hinrichtung überquerte er die Straße.
Wenn er sich irrte – er betete, daß er sich irrte – und Hoballa noch im Haus war, konnte er sich notfalls als Partygast ausgeben, der sich in der Wohnung geirrt hatte. Wenn nicht, dann …
Die Haustür wurde aufgerissen, und ein Mann in Socken, Boxershorts und Unterhemd stürzte heraus. An seiner Stirn schillerte eine frische große Beule. »Mein Kostüm!« brüllte er. »Der Scheißkerl hat mir mein Kostüm geklaut! Den bring’ ich um, wenn ich ihn erwische!«
Wutentbrannt schaute er sich um.
Aber Charly Hoballa war längst im Karnevalstrubel untergetaucht und amüsierte sich teuflisch.
Ein Auto kam um die Ecke gebraust. Kaminski. Er wirkte nicht eben erfreut, Röhrich mitten auf der Straße vor Charly Hoballas Haus zu sehen, mit einer Pappnase im Gesicht und in der Begleitung eines Mannes, der nur mit seiner Unterwäsche bekleidet war. Oben im zweiten Stock öffneten sich die Fenster, und eine ganze Heerschar quiekender Mäuse und johlender Clowns steckten die Köpfe heraus.
Der Unterwäschemann sah nach oben.
»Irgendein Scheißkerl hat mir das Kostüm geklaut!« schrie er. »Als ich Bier holen wollte. Der Scheißkerl hat mich von hinten im Treppenhaus niedergeschlagen. Als ich wieder aufgewacht bin, lag ich im Keller, und das Kostüm war weg! Wenn ich den erwische!«
Die Mäuse und Clowns brachen in grölendes Gelächter aus. Sie schienen das wahnsinnig komisch zu finden. Röhrich schielte zu Kaminski hinüber, doch seine schwache Hoffnung, daß auch sein Chef die Situation wahnsinnig komisch finden könnte, wurde bitter enttäuscht.
Kaminski starrte ihn durch die Windschutzscheibe an, als wollte er ihn erdrosseln, und formte mit den Lippen fünf Worte. Röhrich konnte sie nicht hören, aber er verstand sie trotzdem.
Röhrich, Sie sind im Arsch.
6
----
Gegen Mittag hatte sich der Straßenkarneval vom Altermarkt in die Kneipen der Altstadt verlagert. Im Bierhaus Käx, im Daddeldu, im Jan und Griet und dem Rathus Eck, im Päffgen und im Früh am Dom, in allen Bierhäusern und kölschen Kneipen schwoften die Jecken bei Kölsch vom Faß und Halven Hahn [4] . Polonaisen brausten durch die engen Gassen, die Wiever bützten, die Pöppcher tanzten, und rings um den Dom schunkelten die Massen. Die Altstadt war ein einziges Singen und Lachen, und man konnte fast glauben, daß alle Menschen glücklich waren.
Aber Jorge Gabriel Lorcaz war ganz und gar nicht glücklich. Jorge Gabriel Lorcaz sang auch nicht. Und das Lachen hatte er sowieso schon vor Jahren seiner automatischen Pistole überlassen.
Er saß in einer luxuriös eingerichteten Altstadtwohnung mit Blick auf den Rhein und das gegenüberliegende Messegelände, wartete auf Charly Hoballa und vertrieb sich die Zeit mit der Planung und Vorbereitung eines Massenmords.
Und Jorge Gabriel Lorcaz meinte es ernst.
Vor ihm auf dem Tisch lagen eine Tec-9-Maschinenpistole, ein halbautomatisches Sturmgewehr vom Typ M-16, zwei Splitterhandgranaten aus Bundeswehrbeständen und 500 Schuß Langwaffenmunition der Firma Remington. Er hätte eine israelische UZI der Tec-9 vorgezogen, aber schließlich war er in Köln und nicht daheim in Medellín, und er mußte nehmen, was er bekommen konnte.
Waffen und Unterschlupf hatte ihm Mario Luis Barrera zur Verfügung gestellt, ein Landsmann und entfernter Verwandter, der schon seit Jahren in der Domstadt lebte und dealte und auch die
Weitere Kostenlose Bücher