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Kolibri

Kolibri

Titel: Kolibri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Benvenuti
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stellte sich vor, an ihrer Stelle zu sein und zu sehen, was sie sah. Einen dreißigjährigen Versager, der ein feuchtes T-Shirt und eine Trainingshose trug, dessen Fußsohlen bluteten und der, im Verdacht stehend, ein Geiselnehmer und Bombenleger zu sein, von einer Hundertschaft Polizisten umstellt war. Eine gute Story, klar, aber sonst? Jemand, mit dem man höchstens Mitleid hatte.
    â€žWie viel weißt du über Patrick Berger?“, fragte er.
    Maria hob die linke Augenbraue, nur die linke, eine Fähigkeit, die Karl immer schon in Erstaunen versetzt hatte, und sagte: „Ist das dein Boss?“
    Karl nickte.
    â€žNicht viel. Ehrgeizig, jung, guter Geschäftsmann.“
    â€žDas ist richtig“, sagte Karl. „Er ist ein guter Geschäftsmann. Er schaut so sehr aufs Geld, dass andere Belange, wie zum Beispiel die Gesundheit seiner Mitarbeiter, eher unwichtig werden.“
    Maria, die eine Story witterte, wenn diese so dumm war, ihre Deckung zu verlassen, trat einen Schritt näher, hielt die Kamera vor Karls Gesicht und flüsterte: „Erzähl.“
    Vor einer knappen halben Stunde war Patrick Berger von Cola auf Whiskey umgestiegen. Jetzt saß er in einer der hintersten Reihen im Gemeinderatssitzungssaal, nippte an seinem Becher und betrachtete abwesend den Bürgermeister und Qualtinger, die hektische Telefonate führten, und den Umweltstadtrat, der es sich vor dem Fernseher bequem gemacht hatte, in dem eine dunkelhaarige Moderatorin eine Sondersendung zum Geisel- und Bombendrama, wie sie es nannte, im Programm Österreich 2 ankündigte.
    Berger war erschöpft. Sein Körper bestand aus porösem Kalkgestein, in das die Müdigkeit einsickerte wie Wasser nach einem heftigen Gewitter. Sein Anzug war zerknittert und schweißfleckig, sein Hemd klebte an seinem Körper wie Frischhaltefolie an einem langsam faul werdenden Apfel. Sein Handy vibrierte sanft in seinerBrusttasche. Er stellte den Becher ab, zog es heraus, warf einen Blick auf die Anzeige und spürte, wie ein Adrenalinstoß durch seinen Körper rauschte. Schrempf. Hoffentlich mit einer guten Nachricht.
    â€žJa?“, sagte er leise und schaute sich um, ob er beobachtet wurde, was nicht der Fall war. Kindisch? Vielleicht, aber schließlich ging es hier um eine ernste Angelegenheit.
    â€žChef?“ Schrempfs Stimme klang leise und gedämpft und ein wenig ängstlich.
    â€žWas ist los?“
    â€žIch brauch die Nummer.“
    â€žWelche Nummer?“, fragte Berger, lauter als beabsichtigt, und wieder ruckte sein Kopf hoch und seine Augen zuckten umher auf der Suche nach Beobachtern.
    â€žDie Kombination für den Safe“, sagte Schrempf. „Und zwar schnell. Ich weiß nicht, wann sie wieder zurückkommen.“
    Mit
sie
waren offensichtlich Baumgartner und die Journalistin gemeint.
    â€žHaben Sie was zum Schreiben?“
    â€žGleich“, keuchte Schrempf und Berger konnte hören, wie Schubladen seines Schreibtisches hastig aufgerissen wurden. „Okay, jetzt.“
    Berger wollte ihm die neunstellige Kombination nennen, aber sie fiel ihm nicht mehr ein. Denk nach, sagte er sich, verdammt noch mal, denk nach. Nichts.
    â€žChef?“ Schrempf, dringlicher diesmal.
    Berger schloss die Augen und legte den Kopf in den Nacken. Gib auf, sagte er sich. Lass die Bullen und den Bürgermeister tun, was sie glauben tun zu müssen. Sollte Baumgartner doch seine Version der Ereignisse erzählen, dann würde immer noch seine, Bergers, Aussage gegen die eines Bombenlegers und Geiselnehmers stehen. Und falls sie den Behälter entdeckten? Er öffnete die Augen und starrte an die goldgeschmückte Holzdecke und plötzlich spürte er, wie neue Energie in seinen Körper floss. Er wollte etwas haben, das viele Menschen haben wollten. Geld, Macht, Luxus. Aber was ihnvon den vielen Menschen, die all das haben wollten und es dennoch niemals haben würden, unterschied, war, dass er es
wirklich
haben wollte. Mehr noch, er brauchte es.
    â€žSchrempf?“
    â€žJa?“
    â€žHier ist die Kombination.“ Er gab die Zahlen durch, ließ sie von Schrempf zweimal bestätigen und legte auf. Dann stand er auf, ging vor zu den Tischen, warf den halbvollen Becher mit dem Whiskey in den Mistkübel und schenkte sich eine Cola ein.

DREIUNDZWANZIG
    â€žDaraus könnte ich eine tolle Skandalstory machen“, sagte Maria und skizzierte mit der erhobenen

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