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Kolibri

Kolibri

Titel: Kolibri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Benvenuti
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sichtbar war. Ein hässlicher kleiner Riss, dunkelrot in der Mitte, etwas heller an den Rändern, der eine hässliche kleine Narbe hinterlassen würde. Noch eine.
    Karl stand auf, ging zum Schreibtisch, warf den Splitter auf die Arbeitsplatte und schnappte sich Marias Handtasche. Während er durch Taschentücher, Lippenstifte, Notizbücher, Kugelschreiber, Tampons und diverse andere Gegenstände wühlte, sagte er Maria, sie solle ihr T-Shirt ausziehen, die Wunde müsse desinfiziert werden. Schließlich hatte er die Pflaster gefunden, zwei Stück, hellblau mit roten Blümchen drauf. Die Pflaster, und noch etwas anderes. Er drehte sich um, hielt die kleine Kartonschachtel hoch und sagte: „Wofür sind die denn?“
    Maria schenkte ihm ein herablassendes Grinsen. „Ich muss dir wohl nicht erklären, wofür Kondome gut sind, oder?“
    â€žZehn Stück?“
    Maria betastete ihre Halskette und sagte: „Ich bin Optimistin.“
    Karl warf die Kondompackung auf den Schreibtisch und ging, mit den Pflastern in der Hand, zum Sofa, wobei er den Scherben im Teppich leichtfüßig auswich. Seit der gelungenen Entfernungdes Splitters fühlte er sich besser. Es tat gut, wieder mal etwas richtig gemacht zu haben.
    â€žOkay“, sagte er, „zieh das T-Shirt aus.“
    â€žDrehst du dich um?“
    â€žWenn du willst.“
    Maria lachte. „Idiot. Hilf mir lieber.“
    Zu zweit schafften sie es, das T-Shirt von Maria zu schälen, ohne dass diese ohnmächtig wurde. Sie trug einen engen roten BH, den Karl nicht kannte. Er sah neu aus. Und teuer.
    â€žIst der für Herr-Zehn-Kondome?“
    â€žEifersüchtig?“
    â€žNeugierig.“
    Maria schmierte sich ein wenig Merfen Orange auf die Wunde und biss die Zähne zusammen. Die kleine Drecksau tat ganz schön weh.
    â€žWie ist er denn so?“
    â€žWer?“
    â€žWer wohl?“
    â€žFritz?“
    â€žSo heißt er?“
    â€žJa, so heißt er.“
    â€žWas macht er denn so?“
    Maria setzte sich auf, deutete mit dem Arm zum Fenster, durch das nach wie vor das grelle Licht der Scheinwerfer hereinsickerte, und sagte: „Schätzchen, ich würde dir gerne alles über Fritz Drechsler erzählen, aber …“
    â€žAber was?“
    â€žDein Plan, mit dem du die WEGA davon abhalten willst, die Fabrik noch mal zu stürmen, interessiert mich mehr.“
    Die Stimmung war am Kippen, nicht nur draußen, vor dem Zentralfriedhof, nein, auch hier drinnen, im Gemeinderatssitzungssaal, spürte Berger immer deutlicher, dass das Blatt sich zu wenden begann. Als die ersten Berichte über die Bombe in der Fabrik, die gescheiterteErstürmung und die anschließende unglückliche Geiselnahme im Fernsehen ausgestrahlt worden waren, hatte es noch klare Fronten gegeben. Karl Michael Baumgartner war der Böse, Berger, seine Fabrik und, falls die Bombe hochging, möglicherweise ganz Wien, waren die armen Opfer. Nach und nach hatte sich jedoch der Tenor der Berichte gewandelt, Baumgartners Kindheit wurde ausgeleuchtet, Schulfreunde kamen zu Wort, und als sich die ersten Beiträge mit der Fabrik zu befassen begannen, wurde plötzlich ein Umschwenken erkennbar. Plötzlich wurde viel von Anrainerbeschwerden wegen der stinkenden Luft berichtet, die Demonstranten vor dem Zentralfriedhof bekamen Gelegenheit, ihre Solidarität mit Baumgartner auszudrücken, den sie zu einer Art Öko-Robin-Hood hochstilisierten, obskure Experten schwafelten unverständliches Zeug bezüglich der Gefahr, die von den bei der Zerstörung der Zentrifuge am Tag zuvor freigesetzten Stoffen ausgehen könnte. Und schließlich begannen die Anrufe. Berger hatte keine Ahnung, woher diese Leute all diese, sicherlich geheimen, Nummern hatten, allein, sie hatten sie und sie machten eifrig Gebrauch davon. Bergers Handy hatte ununterbrochen geläutet, das des Bürgermeisters ebenfalls, der Umweltstadtrat, der auf Vibracall geschaltet hatte, war mit einem permanent summenden Mobiltelefon in der Hand dagestanden, und selbst Qualtinger hatte den einen oder anderen Anruf bezüglich der Situation in der Fabrik erhalten. Der Grundtenor all dieser Anrufe war derselbe: Bergers angeblich ach so natürliche Chemiefabrik versuchte, einen veritablen Skandal zu vertuschen, und der heldenhafte Karl Michael Baumgartner war der einzige, der, wenngleich mit verzweifelten Mitteln, versuchte,

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